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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Erst dann erlaubte er ihnen, die Hände nach unten zu nehmen. Er stellte sie mit dem Rücken zur Wand und begann sie zu verhören. Dem Herbergsvater wurde befohlen, sich mit einer Petroleumlampe in der Hand daneben zu stellen. Und einen Meter von diesen dreien weg lehnte kerzengerade eine Tote. Das war ein Anblick, der einem das Blut mehr in den Adern gefrieren ließ als die Geschichte von Richter Bao [20] in der Unterwelt.
    Eigentlich waren die beiden Totenrufer Brüder, sie stammten aus dem Dorf Nancheng in Shaanxi, vom Deich der Glücksgötter. Schon ihr Vater war diesem Gewerbe nachgegangen und hatte im Grenzgebiet von Shaanxi und Sichuan im Umkreis von mehreren hundert Meilen einen guten Namen bei den Leuten, ihm eilte der Ruf voraus, er vertreibe die Geister. Dann ging das Geschäft vom Vater auf die Söhne über, die beiden waren kaum zehn Jahre alt, als sie mit dem Kampfsporttraining begannen. Aber erst nach vier, fünf Jahren Training haben sie das Geschäft wirklich übernommen. Sie hatten genug Kraft, Geduld und Geistesgegenwart, so fanden sie genug Auftraggeber, um dem Geschäft in nah und fern nachzugehen. Zum Zeitpunkt der Geschehnisse war der Ältere der beiden schon 35 . Er hatte schmale Brauen, schmale Augen und Muskeln hart wie Stein. Der Jüngere war 31 , ein wenig schmaler, aber auch er scheute sich vor nichts und niemand.
    Der Leiter der Arbeitsgruppe fragte: »Was macht ihr zu Hause?«
    Der Ältere starrte er ein paar Sekunden vor sich hin, bevor er antwortete: »Das habt Ihr doch gesehen, das machen wir.«
    Frage: »Bestellt ihr auch den Boden?«
    Antwort: »Wir haben eigenen Grund und Boden, aber wir bestellen ihn nicht.«
    Frage: »Warum nicht?«
    Antwort: »Keine Zeit.«
    Frage: »Machen das Landarbeiter für euch?«
    Antwort: »Die Ernte ist zu gering, manchmal bleibt sie auf dem Halm.«
    Frage: »Ihr habt noch Brachland?«
    Antwort: »Bei der Hungersnot sind alle davongelaufen.«
    Frage: »Habt ihr bei euch schon mit der Bodenreform angefangen?«
    Antwort: »Die Mobilisierung hat angefangen.«
    Frage: »Und Versammlungen?«
    Antwort: »Versammlungen auch.«
    Daraufhin kam er zu folgendem Schluss: »Ihr habt schon Versammlungen gehabt, und dann macht ihr noch so was? Ihr seid unbelehrbar, ihr mit eurem abergläubischen Gewerbe.«
    Abergläubisches Gewerbe, das war der Straftatbestand für die beiden. Dann wurden sie noch nach dem persönlichen Hintergrund der Toten gefragt, die beiden sahen einander ratlos an und stotterten herum, nach den Regeln ihres Berufs müsse das geheim bleiben, man erzähle bei einem Pfandgeschäft das Mindestgebot ja auch keinem Außenstehenden. Da war das Gebrüll groß, es gab politische Angriffe, von wegen »Milde für ein Geständnis, Strenge bei Widerstand«. Die Soldaten luden zweimal durch und machten Anstalten, die beiden an die Wand zu stellen. Und die beiden Bauerntölpel, die in unserer Provinz nicht zu Hause waren, gingen, trotz all ihren Kampftechniken, vor Schreck buchstäblich in die Knie und machten eine Aussage. Schließlich kam heraus, dass die Tote die Frau eines Regimentskommandeurs der Guomindang-Truppen war, die nach deren Niederlage herumirrte, am Ende der Erschöpfung nicht mehr gewachsen war und in der Fremde an Schwindsucht starb.
    Zu dieser Zeit waren die Städte und Ortschaften im Gebiet von Shaanxi längst »befreit«. Dem Kommandeur erging es nicht anders als anderen Befehlshabern der Guomindang-Truppen; die zweitausend Mann, die ihm unterstanden, waren im Nu in alle Winde zerstreut. Er mietete sich notgedrungen einen Tragesessel aus Bambus und packte seine in den letzten Zügen liegende Frau und zwei Lederkoffer auf den Buckel. Über die Kreise Hanzhong und Nanzheng hat es ihn schließlich bis in die Gegend um das Dorf am Deich der Glücksgötter verschlagen. Der Regimentskommandeur konnte sich selbst kaum am Leben halten und hätte, nach allgemeinem Brauch, seine Frau, die gerade ihr Leben ausgehaucht hatte, eigentlich auf die Schnelle irgendwo begraben müssen. Aber die Liebe zwischen den beiden war so tief, dass er das nicht übers Herz brachte. Seine Frau stammte aus einem kleinen Dorf im Kreis Yanting in Sichuan, und als sie starb, musste er ihr versprechen, sie nach Hause zu bringen und das Blatt zu seinen Wurzeln zurückkehren zu lassen. Das war ihr letzter Wunsch, dem Kommandeur blieb also keine Wahl. Aber das Land war zerstört, die Familie verloren, der Weg nach Sichuan gefährlich und die Heimat Hunderte von Meilen

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