Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
lösen kann, dann soll man sich möglichst früh davon lösen.
LIAO YIWU:
Und wo führt das hin? Wir sind ja nicht mehr im Altertum, es gibt nicht einmal mehr Orte für Einsiedler. Dieser Berg, dieser Fluss, dieser Platz wird als landschaftliche Sehenswürdigkeit früher oder später für den Tourismus erschlossen. Und wenn die Geschäfte gut laufen, wird man am Fuß des Berges einen buddhistischen Tempel errichten und man wird damit Reklame machen, das sei der vor kurzem erst entdeckte Pfirsichblütenquell von Tao Yuanming [44] . So wird unser historisches und natürliches Erbe mit Ratings versehen, die Leute werden mit Dampfschiffen den Wu heraufkommen, es wird sein wie eine Flut, und es ist nicht gesagt, dass Ihr nach hundert Jahren noch eine Attraktion wärt, die Reisende anlockt.
HUANG TIANYUAN:
Du bist durcheinander, wir sollten hinabsteigen.
LIAO YIWU:
Wohnt Ihr nicht hier?
HUANG TIANYUAN:
Ich wohne im Dorf, meine Söhne und Töchter wohnen mit den Enkeln in der Kreisstadt.
LIAO YIWU:
Ihr habt gerade gesagt, Ihr hättet Euch in Eurer »Wohnstatt für das Jenseits« versteckt. Schaut nur, der Mond geht über dem zweiten Pinselständer auf, und dieser Wind scheint direkt aus dem Himmel zu kommen, da ist ein feiner Duft, wenn Ran Hongyu jetzt aus ihrem Grab steigen würde, dann sicher als Reinkarnation. Die Geister sind gut und schön und wehen über die Gräser hin, Geister, die einen ins Straucheln bringen können. Großvater, gehen wir zurück!
HUANG TIANYUAN:
Ja, gehen wir! Ich werde nicht in mein Grab steigen, wenn jemand dabei ist, ich habe viele Jahre dort zugebracht, für einen alten Mann ist das leicht. Ich bin auch tatsächlich schon umgezogen, und mit dem Geld, das ich mit dem Fengshui verdiene, habe ich zwei Höfe hochgezogen, die habe ich meinen Kindern gegeben. Sie haben sie weiterverkauft, sie wollten mit den Enkeln und Urenkeln in die Stadt, sie suchen den Trubel … Eine große Familie in eine einzige Hochhauswohnung gestopft, man muss sich das einmal vorstellen!
Alte Menschen haben es gern ruhig, aber meine Kinder rennen mit ihren Kindern dem Reichtum hinterher. Ich bin nicht mit ihnen gegangen. Wenn sie wollen, dass ich mein Geld unter ihnen aufteile, dann tue ich das, aber ich selbst gehe nicht mit. Wenn man alt ist und das Gesicht voller Runzeln und Warzen hat, das ist ein Anblick, den die jungen Menschen nicht mehr gewöhnt sind. Du hast Achtung vor dem Alter, das habe ich gemerkt. Ich denke auch, dass es eigentlich die Pflicht der Jungen wäre, mir den Nachttopf zu leeren. Vergiss es, seit Ran Hongyu das Zeitliche gesegnet hat, geht mich der Staub dieser Welt nichts mehr an. Obwohl ich mir Mühe gebe, das Fengshui für sie zu lesen, aber meine Seele ist schon nicht mehr hier. Schau, dieser Felsen hängt zur Hälfte in der Luft, und um ihn herum sind noch andere Felsen, wie aus Stahlbeton gegossen, nicht der kleinste Riss. Aber nur ich weiß, wie man hineinkommt. In den sechziger Jahren hauste auf diesem Berg ein Tiger. Als ihm vor Hunger schwindlig wurde, kam er ins Dorf und stürzte sich auf Menschen. Danach ist das ganze Dorf mit Fackeln und mit Gongs auf den Berg, der Tiger hatte keinen Ausweg, also sprang er von diesem Felsen aus in den Tod. In der darauffolgenden Nacht haben sie ihm das Fell abgezogen und sein Fleisch haben sie unter freiem Himmel gekocht, über hundert Leute haben einen kleinen Happen bekommen. Wie es heißt, war das der letzte Tiger, der in dieser Gegend gesehen wurde. Vielleicht ist das, was ich für mich ausgebaut habe, die Höhle des Tigers gewesen, es geht über zwanzig Meter in den Berg. Ich wohne jeden Monat ein paar Tage in meiner Gruft, wenn Ran Hongyu bei mir ist, dann wird das irdische Leben von Tag zu Tag sinnloser.
Der Duft, der dir aufgefallen ist, das sind Wermut, Beifuß, chinesischer Goldfaden, chinesische Pfingstrose, Minze, der Gerberstrauch, Gebrochenes-Herz-Kraut, manche sind wild, manche habe ich selbst gepflanzt. Ich habe in dieser Gegend Samen von über zwanzig Kräutern der chinesischen Medizin ausgesät, der Boden ist sehr fruchtbar, wenn man im Frühjahr die Samen ausstreut, dann sprießen sie im Sommer nach und nach, sie fliegen überallhin, der Staub, der sich auf den Felsen sammelt, ist voll davon. Das ist wirkungsvoller als Getreide, es verbessert die Stimmung, wenn man ein paar Kräuter pflückt und sie unter der Zunge zergehn lässt, dann fühlt man keinen Hunger, dann hat man das Gefühl, als dringe der Duft von innen
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