Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
gesunder Wille. Und es war Mut. Wenn ich wollte, konnte ich es schaffen, dann konnte ich irgendwann frei sein.
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In Vermont werden die Tage regnerisch und grau. Ich sitze vor dem Kamin und lese. Das Mittagslicht ist spärlich. Ich stehe auf, um mir Tee nachzuschenken, und schaue dabei aus dem Fenster. Es macht mich melancholisch, weil in diesem Licht alles ohne seinen Schatten dasteht, entzaubert irgendwie.
Der Wind jagt die Blätter durch die Luft. Er hat auch Gewalt über meine Gedanken. Regen platzt immer heftiger an die Scheiben. Das Feuer brennt auf einmal lauter. Ich nippe an meinem Tee und fühle die wohlige Wärme, die aus dem Kamin in den Raum wallt.
Mit Einsetzen des schlechten Wetters bin ich auf mich selbst zurückgeworfen, und mich beschäftigen Gedanken an meine Zukunft, die Zweifel. Für immer kann ich hier nicht bleiben, so viel ist klar. Und wer weiß, ob und wann ich wiederkomme?
Wie sollte meine Freiheit aussehen? Sich wie eine Eidechse vor den Menschen zu verstecken, ist das ein Zeichen von Schwäche?
Vielleicht kommt es nur darauf an, wo ich mich vor ihnen verstecke. Hier ist es die Abwesenheit von Menschen, die mir ein gutes Gefühl gibt, da somit der Zwang verschwindet, mich an ihnen messen oder mit ihnen vergleichen zu müssen. Solange ich nicht weiß, was mir die Einsamkeit bringt, ist sie reizvoll. Ich will die Reduktion, da bin ich mir ganz sicher. Ich will über Landstriche reiten, die ich kenne wie meine Hosentasche. Ich will auch im Gras liegen, in den Himmel schauen und mich frei fühlen. Ich will im Hier und Jetzt leben, ich will der trächtigen Stute helfen, ihr Fohlen auf die Welt zu bringen, ich will sehen, wie der Weizen steht und vom Hagel niedergeschlagen wird, ich will an der Sorge darüber verzweifeln, wie ich das Rindvieh aus dem Schlammloch ziehen kann, in dem es feststeckt.
Ich muss an den Knochen im Kompost denken, es ist nur das, was bleibt. All die Zeit, die vergeht, sie fügt sich zu dem zusammen, was mein Leben ist. Bis ich meine Heimat gefunden habe, muss ich jeden Tag packen, walken und bearbeiten wie einen Acker.
Man muss kämpfen und überleben. Überleben finde ich noch viel besser als leben – Überleben setzt mehr Kraft voraus, verlangt mehr, fordert mehr.
Ich stehe auf und merke, dass Mittag schon vorbei ist. Ich nehme mir von der Aubergine, die ich gestern gekocht habe, und setze mich in die Küche.
Nach dem Essen gehe ich zu den Pferden. Es ist nasskalt und mich fröstelt. Bald wird Schnee fallen, das spüre ich. Die Luft riecht förmlich danach, und der Nebel hängt an den Bäumen fest wie Zuckerwatte am Stiel. Meine Gummistiefel knirschen auf dem harten Schotter. Ein Streifenhörnchen flitzt in Windeseile über die Trockenmauer und verschwindet, als ich zum Stall abbiege.
Francis ist da und wendet die Späne in den Boxen mit der Mistgabel. Die Pferde stehen auf den Koppeln. Es erklingt leise Musik aus dem Radio. Ich nehme ebenfalls eine Gabel und einen Bottich, ziehe ihn an Walthers Box ran und entferne die Pferdeäpfel und die stark nach Urin riechenden Späne. Säcke mit frischen Spänen liegen in der Stallgasse bereit. Nachdem ich den Mist aus der Box geholt habe, streue ich frisch ein und entleere den vollen Bottich auf die Ladefläche des Gators. Francis tut das Gleiche. Ich miste die nächste Box aus und setze mich schließlich hinters Steuer des Gators, fahre rückwärts aus der Stallgasse, rase am alten Stall vorbei zum Kompost runter und lade den Mist ab. Ich schaue auf den riesigen Haufen und überlege, was da drin wohl alles vor sich hin gärt. Egal was es ist, im Lauf der Zeit wird es sich zersetzt und in einen nährstoffreichen Humus verwandelt haben. Ich denke, dass es mit Erfahrungen genauso ist, man häuft sie an, und sie zersetzen sich im Leben zu einem nährstoffreichen Humus. Es gibt Menschen, die haben so viel mehr gesehen und erlebt als ich, es gibt Menschen, deren Komposthaufen ist so groß, die Erde so reich, dass mein Häufchen dagegen kümmerlich wirkt. Es gibt Menschen, die zufrieden sind, ob mitten in oder fernab jeglicher Gesellschaft. Und es gibt mich, die ich mir versuche zu erklären, wo ich in alldem stehe. Es gibt solche, die mühen sich ab, um zu bestehen, und es ist fraglich, ob sie dabei das Leben führen, das sie glücklich macht.
Manchmal hasse ich mich für die Feigheit, die mich dazu bewegt, mich in den Wäldern zu verstecken, aber es ist das, was mir am meisten entspricht.
Ich begreife, warum man
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