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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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ließ – musste ich mich nicht fürchten, da ich immer kurze Haare hatte. Doch bei der Gaunerübung kam keiner davon.
    Weil eines der Kinder entführt worden war, wurden wir zusammengetrommelt. Schuhe an, Pulli und Jacke über den Schlafanzug ziehen, und raus ging es in die Nacht. Die Entführer würden unseren Pfadi nicht hergeben, solange wir ihren Forderungen nicht nachkamen. Diese wurden auf einem kaum lesbaren Zettel, der an den Ecken und Kanten angebrannt worden war, formuliert. Im Licht einer Kerze musste einer die Zeilen vorlesen. Den Geschmack von Schlaf noch im Mund und die brennenden Augen starr in die Dunkelheit gerichtet, lauschte man, hörte nichts als diese eine Stimme. Die Gauner schickten uns in den Wald an einen bestimmten Ort, meist ohne Taschenlampe und ohne eine Ahnung, was uns dort erwartete.
    In einer Kolonne machten wir uns auf den Weg in die Dunkelheit. Niemand wollte zuletzt gehen, denn dort war die Gefahr am größten, von den Gaunern geschnappt zu werden. Wir durften kein Licht machen und nicht sprechen. Hinter jedem Baum, jedem Holzstapel, jedem Busch vermutete ich den Bösewicht. Auf einer Lichtung setzten wir uns in einen Kreis und warteten. Wenn nichts geschah, fingen wir an zu singen oder zu rufen. Nichts. Die Nacht lag über uns wie ein schlappes Zelttuch, sie verwirrte alle Sinne und machte das vorlauteste Kind zum schüchternen Knirps. Mein Herz klopfte in der Brust, und die Augen zuckten nach links und rechts in fürchterlicher Ahnung, doch ohne die Umrisse einer vermummten Person zu erkennen. Dann, auf einmal, preschten brüllende, schwarze Gestalten hinter den Bäumen hervor. Ein gellendes Geschrei durchfuhr die Gruppe. Jeder versuchte eine Hand zu fassen, hinter einen Baum zu hechten, manche klammerten sich an das Bein eines Räubers und versuchten ihn so an der Flucht zu hindern, doch sie wimmelten einen ab und verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren, im Nichts.
    Jeder musste nun seinen Namen nennen, damit wir feststellen konnten, ob jemand fehlte. Tatsächlich hatten die Gauner eine weitere Geisel genommen. Wir suchten den Waldboden mit der einzigen vorhandenen Taschenlampe ab, um herauszufinden, ob einer der Räuber eine Botschaft fallen gelassen hatte, ob wir Hinweise fanden, die uns zu ihrem Versteck führten. Es konnte ein Schlüssel sein, eine Karte mit Koordinaten, ein Brief mit weiteren Bedingungen.
    So wanderten wir weiter durch den dunklen Wald, um unsere Geiseln zurückzuerobern, bis wir entweder das Versteck der Gauner aufspürten und sie aus dem Hinterhalt überfallen konnten oder sie mit uns um Mutproben verhandelten oder Fragen stellten, die wir beantworten mussten. Irgendwann hatten wir unsere Pfadis zurück und aßen mit den Gaunern, die sich als Führer der Jungs-Pfadis enttarnten, Schokofondue am Lagerfeuer.
    In solchen Nächten umfing mich die wohlige Schwärze. Die Flammen des Feuers loderten, und ich wärmte mich und stocherte in der Glut, in der in Alufolie gewickelte Bananen mit Schokolade lagen. Einer der Jungs spielte Gitarre, und wir sangen, lachten und erzählten bis in den frühen Morgen.
    Bald wurden die Gaunerübungen zur Routine. Wieder wurden alle aus dem Schlaf gerissen, wieder mussten wir uns hastig anziehen und raus, wieder wurde eine Botschaft verlesen, wieder wanderten wir in den bizarren Wald. Aber diese Furcht war weg. Sie war einfach nicht mehr da.

11
    Mi t zwölf sah ich aus wie ein Junge, war von Kopf bis Fuß Junge, fuhr Skateboard, Snowboard, BMX und Rollerblades, trug meine Haare kurz und vermied es zu lachen, weil es uncool war. Ich trug Pullover, die heute meinem Vater passen, machte eine Weltreise, um die richtigen Turnschuhe zu erwerben, und schrieb in mein Aufgabenheft: »Wenn ich sechszehn bin, gehe ich nach Montana auf eine Ranch und werde dort der beste Cowboy, den es gibt.«
    Als Mädchen hatte ich mich nie gefühlt. Ich hatte nie mit Puppen gespielt und hasste es, Röcke und Haarbänder zu tragen. In die Schule trug ich keinen Schulranzen, sondern einen Rucksack. Ich fuhr kein Damenrad, sondern das Rennrad meines Bruders. Dass ich mit dem Skateboard zur Schule fuhr, hatte schon in der vierten Klasse begonnen. Nach dem Unterricht traf ich mich mit den Jungs zum Skaten. Wir sprangen die Betontreppenstufen runter und übten den Kick-flip (das Board in der Luft einmal um die Achse drehen) und den Ollie (mit dem Board in die Waagerechte hochspringen). Mit Jungs wollte und konnte ich mich messen. Auf der Straße und

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