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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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Rebecca runter, und sie ging mir nur einmal durch, ruinierte dabei allerdings mit einem Hinterbein Kotflügel und Fahrertür eines geparkten Autos.

10
    Ni cht nur der Stall bot mir die Möglichkeit, aus dem Schulalltag zu fliehen. Jedes Kind in unserem Dorf durfte in der dritten Klasse den Pfadfindern angehören. Bei den Pfadfindern kümmerte es keinen, wie gut oder schlecht jeder in der Schule abschnitt. Hier zählten Mut, Durchhaltevermögen, ein lautes Stimmorgan und das freche Mundwerk.
    Wie stolz ich war, als ich mit meinem Vater ins Gemeindehaus gehen durfte, um mein Pfadihemd, meinen Pfadipullover, die Pfaditasche und ein leuchtend gelbes Halstuch abzuholen, das jeder Jung-Pfadi als Krawatte um den Hals trug. Ich schnitt selbst meine Lieblingsjeans an den Knien auf und schabte mit dem Schweizer Messer den Stoff am Oberschenkel kaputt. Ich dachte mir Geschichten aus, um den Pfadipulli in die Schule anzuziehen. Zum Beispiel sagte ich meinen Mitschülern, ich käme gerade von einem Pfaditreff und hätte deshalb »Uniform« an.
    Jeden Samstag um 14 Uhr knöpfte ich mir das Pfadihemd zu, hängte mir meine Pfaditasche um und schlüpfte in die Wanderschuhe. Ich stieg auf mein Fahrrad und raste die Straße hinunter, um pünktlich um 14.30 Uhr zum Antreten bei der Pfadihütte im Tobel zu sein.
    Das Tobel ist eine Art Schlucht. Ich erinnere es als einen Ort von tausend Schatten und einem fortwährenden Gurgeln des Baches. Das Gewässer floss gemütlich über buckelige Feldsteine, die hier und da aus dem Wasser ragten. Das braune Laub schimmerte auf dem Grund, manchmal trieben Stöcke und Äste auf den Wellen flussabwärts. Ging man auf dem Wanderweg den Fluss entlang, kam man an einen etwa drei Meter tiefen Wasserfall, an dem wir Staumauern bauten und im Sommer in das natürliche Becken sprangen. Im Tobel kam die Sonne fast nie durch, somit war der ganze Wald in einen Duft aus feuchtem Holz, Pilzen und aufgeweichtem Humus gehüllt. Inmitten der Buchen und Tannen direkt am Fluss lag die Hütte der Pfadfindergruppe »Heureka«.
    Nie mehr wieder hatte ich die Gelegenheit, so verdreckt zu sein, von Kopf bis Fuß so nach Feuer zu riechen, in quatschenden, nassen Wanderschuhen nach Hause zu watscheln, so zu frieren, so zu schreien, mich so zu ängstigen, mich zu schlagen wie bei den Pfadfindern. Bei ihnen habe ich meine Ängste vor Räubern, Gaunern und der Dunkelheit überwunden. Ich lernte in den Pfadilagern, den Rucksack zu packen und meine Eltern zu vermissen. Wir sangen von glücklichen Cowboys, dem schönen Zigeunerleben, von Landstreichern, Seefahrern und Geisterreitern. Wir haben über offenem Feuer gekocht. Wir wickelten Schlangenbrotteig um einen Holzstecken und garten ihn in der Glut. Meist verbrannte der Teig allerdings im Feuer, statt zu backen. Oder das Feuer war nicht heiß genug, und weil man die Geduld verlor, rupfte man den angeschwärzten, aber rohen Teig vom Stecken. Nach Brot schmeckte es nicht wirklich. Spätestens zu Hause hatte man Bauchschmerzen. Wir gruben aber auch Schätze aus, sammelten jungen Löwenzahn für Salat, ergründeten Höhlen, lernten, ein Zelt aufzuschlagen oder geheime Botschaften zu entschlüsseln.
    Nichts verschaffte mir größere Genugtuung, als mich mit den Jungs-Pfadis zu schlagen und mit einem blutigen Kratzer oder einer Blessur am Knie davonzukommen. Im Wald durften wir schreien, so laut wir wollten, klettern, rennen, toben, und dennoch hatte jeder Respekt vor seiner Gruppenleiterin – und vor der Dunkelheit. Ich war kein Angsthase, aber ich fürchtete die Nacht wie den Teufel. Im Zelt verkroch ich mich, eingequetscht zwischen der Zeltstange und den drei anderen Mädchen, mit denen ich das Zelt teilte, in den Schlafsack und betete leise, die Nacht möge schnell vergehen.
    Die Angst vor der Nacht hielt mich jahrelang in ihrem Bann. Monster, Gauner und Räuber bereiteten mir den größten Schrecken, weil sie nicht greifbar waren. Sie entstammten allein meiner Phantasie, und diese war so mächtig, dass ich bei Nachtübungen im Pfadilager alles dafür tat, in meinem Schlafsack vergessen zu werden. Ich war der rotzfrechste Bengel, solange die Sonne schien – wurden wir aber um drei Uhr morgens mit Geschrei aus dem Schlaf gerissen, überkam mich blanke Angst. Dagegen war die Furcht, im Schlaf auch mal Zahnpasta in den Mund gequetscht zu bekommen, gar nichts. Auch vor Kaugummi auf dem Kopfkissen – der sich am nächsten Morgen nur mit Hilfe einer Schere aus den Haaren lösen

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