Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Schulponys standen am Halfter in Ständen und konnten sich kaum hinlegen. Wie in den meisten Ställen war das Gelände nach starken Regenfällen ein Schlammloch, das sich während anhaltender Trockenperioden wieder in ein Staubloch verwandelte.
Am Stall lernte ich, Fliegen mit der Hand zu fangen und den Geruch von Silage zu lieben. Anfangs verspürte ich immer Brechreiz, wenn im Stall das in Folie eingewickelte, in der Sonne gegärte Heu gefüttert wurde. Es roch nach einer Mischung aus zerquetschten schwarzen Oliven, Bier und süßem Erbrochenem. Ich musste mir die Nase zuhalten, wenn ich durch die Stallgasse ging. Heute atme ich diesen köstlichen Duft ein und liebe sogar die Vorstellung von zerquetschten Oliven. In diesem Geruch liegt so viel Sonne und so viel Saft, dass ich mich hineinlegen könnte.
Es gab einen uralten Kaffee- und Kakaoautomaten, der aus Heißwasser und einem Pulver entweder das eine oder das andere in einen braunen, gerippten Plastikbecher tröpfeln ließ. Im Winter war das ein Genuss, und ich hatte immer ein Frankenstück in meiner Reithose für diesen heißen, wässrigen Kakao. Ich besaß eine einzige blaue Reithose, und die durfte nicht gewaschen werden. Wenn ich zwischen Daumen und Zeigefinger den elastischen Stoff am Oberschenkel hochzog und zurückschnappen ließ, musste eine kleine Staubwolke aufwallen. Nur so war ich zufrieden. Statt Reitstiefeln trug ich Gamaschen und Stiefeletten. Bald glänzte das Leder speckig, und weiße Ränder vom Schweiß der Pferde zeichneten sich ab.
In den über zwanzig Jahren, in denen ich reite, habe ich vier Paar Lederhandschuhe besessen. Je länger man Lederhandschuhe trägt, desto intensiver duften sie nach Seife, Schweiß und feuchtem Heu – es gibt nichts Schöneres als abgetragenes Leder. Wenn ich die Handschuhe auszog, liebte ich den Geruch meiner Hände. Ich wusch sie nur, wenn ich zu Hause dazu aufgefordert wurde.
Als ich älter wurde, durfte ich mittwochs und samstags zum Stall. Mittwochs putzte und fegte, fütterte und vertrieb ich die Zeit, bis es dunkelte. In der Regel wurde ich um sechs abgeholt.
Aber in einem Haushalt mit sechs Kindern konnte man auch mal in Vergessenheit geraten – was auch Vorteile haben konnte –, und so wartete ich einmal bis zum Einbruch der Dunkelheit am Stall darauf, dass mich jemand abholte. Die Kinder und die Angestellten hatten das Gelände längst verlassen, und ich blieb auf der Holzbank vor der Sattelkammer sitzen und fing Fliegen. Da ich mich nicht traute, zu Herrn Schmutz, den Reitlehrer und Besitzer der Reitanlage, zu gehen, um zu telefonieren (es vielleicht auch nicht wollte), wickelte ich mich in eine Wolldecke und setzte mich zu der Stute Rebecca ins Stroh und hoffte ein bisschen, man würde erst morgen früh merken, dass ich zu Hause fehlte. Eine Stunde später glitten dann doch die Scheinwerfer des Wagens meines Vaters über den Beton vor den Stallungen.
Samstags ritt ich um neun mit den Erwachsenen und um 15 Uhr noch mal. In der Zeit dazwischen tat ich alles Mögliche, manchmal nahm ich den Haflinger Karino ohne Sattel auf einen Ausritt. Es war das einzige Pony, das ich mich traute ohne Sattel zu reiten. Er hatte einen so dicken Bauch, dass ich mich gut mit den Beinen festklemmen konnte, er war so klein, dass ich, wenn ich fiel, nicht tief fiel, und seine Mähne war so dicht, dass ich meine Hände darin vergraben konnte, wenn der Galopp nach Hause etwas zügiger wurde.
Rebecca war, als ich sie mit elf zum ersten Mal reiten durfte, so groß, dass ich sie nicht selbst satteln konnte. Meine Beine reichten nur knapp übers Sattelblatt des Kindersattels. Aber da Rebecca ein richtiges Pferd war, durfte ich in der Abteilung immer an der Spitze reiten.
Rebecca hatte glänzendes, rostrotes Fell und als einziges Abzeichen auf der Stirn einen weißen Stern. Sie hatte große dunkle Augen und gräuliche Nüstern.
Ich malte ihr ein Namensschild für die Box und pflegte sie stundenlang von Kopf bis Huf, von Schweif bis Schopf.
Ich machte mein erstes und einziges Reitabzeichen auf Rebecca. Wieder und wieder bandagierte ich ihre Beine, bis sich der Stoff gleichmäßig und faltenfrei um ihre Fesseln legte. Bandagen sind handbreite Stoffbahnen, die man den Pferden um die Schienbeine wickelt, damit sie sich mit den Hufeisen nicht an den empfindlichen Sehnen oder der Fessel verletzen. Ich übte das Mähnezupfen an ihr, schnitt mir dabei in den Zeigefinger und habe diese Narbe heute noch.
Ich flog nie von
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