Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
im Fußball entwickelte ich Ehrgeiz, dort lagen meine Stärken. Meine Hosen wurden durchs Skaten immer weiter, saßen immer tiefer auf den Hüften. Da ich nur mit Jungs zusammen war, trug ich, was sie trugen. Meine Mützen zog ich fast bis auf die Oberlider ins Gesicht.
In meinem Mädchenkörper fühlte ich mich nicht wohl. Er bot zu viel Angriffsfläche, war zu sensibel, zu sehr von Therapeuten und Kinderpsychologen eingenommen. Wenn ich rumlief wie ein Junge, machte mich keiner blöd an, und ich konnte allem aus dem Weg gehen. Der Junge war für mich der Inbegriff von Stärke und Freiheit. Der Junge durfte machen, was er wollte, konnte ausreißen, musste sich nicht benehmen oder Spangen in den Haaren tragen.
Meine Eltern sahen das etwas anders. Meine Mutter versuchte mir beizubringen, dass ich auch hübsch aussehen konnte. Sie mochte es, wenn ich Haarbänder trug, Röcke, Lackschuhe oder weiße Blusen. Doch das letzte Mal, dass ich eine weiße Bluse in die Schule anzog, war, als mich ein Klassenkamerad dafür vor der Klasse auslachte. Er riss mir das Haarband vom Kopf und machte Witze darüber, wie albern ich aussah. Darauf zog ich die Bluse aus der Hose, rannte mittags nach Hause und zog mich um.
Ging ich mit meiner Mutter fortan Klamotten einkaufen, wollte ich immer in die Jungsabteilung. Am schönsten war es, wenn mein Vater und meine Mutter eine Woche verreist waren – was im Schulalltag äußerst selten vorkam – und ich sieben Tage lang die gleichen Hosen in die Schule anziehen konnte, ohne dafür beim Frühstück zum Umziehen wieder auf mein Zimmer geschickt zu werden.
In der fünften und sechsten Klasse, als nicht klar war, ob ich auf die Behindertenschule sollte oder gerade noch den Sprung in die Sekundarschule in unserem Dorf schaffen konnte, war ich in meiner Klasse nicht mehr besonders beliebt. Und ich bemühte mich, mehrere Male vom Unterricht verwiesen zu werden.
Ich schlug mich auf dem Pausenhof, und wenn ich an den Haaren über die Betonplatten geschleift wurde, aufstand und nicht weinte, dann hatte ich gewonnen. Unter den Jungs brachte mir das Respekt ein, Daniela und Tina aus meiner Klasse beäugten mich dafür argwöhnisch, wenn ich nicht mit ihnen Gummitwist spielen wollte, sondern es vorzog, in der Zehn-Uhr-Pause auf den Fußballplatz zu gehen.
»Wo warst du denn wieder?«, fragte Daniela, als sich der Pulk von 200 Schülern wieder ins Schulgebäude drängte.
»Nirgends«, wich ich der Frage aus.
»Du lügst«, schmetterte sie mir entgegen. »Du warst doch wieder bei den Jungs auf dem roten Platz und hast Fußball gespielt.«
»Stimmt nicht. Ich habe nicht gespielt, nur zugeschaut«, log ich mich heraus.
Daniela trug immer die neusten modischen Trends zur Schule und war ein Mädchen, das überall ganz vorne mit dabei war. Sie raubte mir Kaspar, einen Jungen, den ich auf der Straße »geheiratet« hatte und mit dem ich händchenhaltend zur Schule ging. Daniela war furchtbar neidisch auf mich, weil Kaspar ein hübscher, liebenswerter Junge war. Es muss in der vierten Klasse gewesen sein: Eines Mittwochnachmittages gingen alle mit Frau Stein auf eine Wanderung, zu der ich nicht mitkonnte, da ich zum Hörtraining musste. Als ich am nächsten Morgen zur Schule kam, erfuhr ich, dass Kaspar jetzt mit Daniela ging. Sie gab ihm fortan die Küsse und hielt seine Hand. Ich war verletzt und schämte mich so sehr vor Kaspar, weil ich zu solchen Trainings musste. Und Daniela hätte ich am liebsten erschlagen.
Tina, die andere, war groß, hatte Sommersprossen um die Nase herum, lange Beine, ein wunderhübsches Lachen und einen weißen Hund zu Hause, der nur ihr gehörte. Mädchen wie sie bekamen im Schultheater die Hauptrollen, und ihre Bilder hingen prominent plaziert im Klassenzimmer. Ich bekam nur Nebenrollen, musste zur Therapie, hatte Schrammen an den Schienbeinen und trug am liebsten T-Shirts und Jeans. Tina und Daniela lebten mir etwas vor, das ich nie würde sein können. Wenn sie in meiner Nähe waren, ahnte ich, dass ich irgendwie anders war.
Für Tina und Daniela war immer alles ganz einfach, ich dagegen musste Krieg gegen Zahlen, gegen Logopäden, gegen eine unsichtbare Krankheit führen. Darüber staute sich in mir Wut auf. Ich hatte eine unerschöpfliche Energie, die ich in Schlägereien oder beim Skateboarden versuchte abzubauen. Nach der Schule blieb ich manchmal extra noch länger auf dem Pausenplatz, um zu skaten oder Wasserschlachten im Brunnen auszutragen.
Zu Hause war
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