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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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einmal, welches sein Zimmer war. Oder doch? Ich öffnete, da auf mein Klopfen niemand antwortete, die Tür, hinter der ich sein Zimmer vermutete, und fand ein verlassenes Chaos vor. Es roch nach alten Sportsachen und unaufgeschüttelter Bettwäsche. Ich ging zum Tisch, nahm Zettel und Stift, und hinterließ eine Nachricht. Dann schlich ich die Treppe wieder runter und rannte den von gelben Lichtkegeln erleuchteten Weg zurück zur Bibliothek. Für eine solche Aktion flog man von der Schule, und ich war den Tränen nahe, dass ich solche Ängste durchstehen musste, nur um meinen Freund zu sehen.
    »Wo warst du so lange?«, war die erste Frage meines erzkatholischen Aufsehers, als ich mit glühenden Wangen auf der Veranda meines Dorms ankam.
    »Ich habe einen Spaziergang gemacht, um nachzudenken«, sagte ich.
    »Louise!«, rief Nicole von oben.
    »Ja?«
    »Mike ist am Telefon für dich.«
    Der Kathole Mr. Paton und seine Frau standen nun zu zweit im Türrahmen und erhoben ihre Zeigefinger. »Nachdenken, so, so.«
    Ich stieg die Treppe hoch und nahm Nicole den Hörer ab. Sie hatte mal wieder ihre nassen Haare in einem Handtuch zum Turban gewickelt und flüsterte: »Hast du Körpercreme mit Vitamin E?«
    Ich hielt den Hörer an mein Ohr und runzelte die Stirn: »Nein, ich glaube nicht. Ich guck gleich nach.«
    »Okay«, flüsterte Nicole, »ich habe einen Kratzer am Bein, und Vitamin E ist gut gegen Narben.«
    Ich nickte ihr zu und zog meine Zimmertür zu, Marianne war noch in der Bibliothek. »Hallo?«, sagte ich endlich.
    »Sag mal, spinnst du?!«
    »Was?«
    »Du bist verrückt, wie bist du hier reingekommen?«
    »Durch die Tür.«
    »Und der Hund?«
    »Der liebt mich.«
    Mike wurde sehr ernst, sogar besorgt: »Die schmeißen dich von der Schule, wenn dich einer gesehen hat.«
    »Hat mich keiner gesehen«, versicherte ich ihm.
    »Ich habe mich riesig gefreut.«
    »Wo warst du überhaupt? Du warst ja auch nicht in der Bibliothek.«
    »Ich habe bei meinem Mathelehrer Hausaufgaben besprochen.«
    Wir verabredeten uns für den nächsten Tag und wünschten gute Nacht.
    Da klopfte es an meiner Tür. Mrs. Paton stand mit steifer Miene vor mir.
    Mit spitzen Lippen und ihr Haupt unter dem wachen Auge Gottes leicht zur Seite geneigt, stand sie da und meinte: »Ich glaube nicht, dass du spazieren warst, um nachzudenken.«
    »Wenn ich es aber doch sage!«
    »Du kommst jeden Abend zu spät aus der Bibliothek. Ich glaube, das liegt an dieser Sache mit Michael Hutchins. Ich würde dir empfehlen, die Geschichte zu beenden, sonst müsste ich die Konsequenzen ziehen.«
    Wie ich sie hasste. Du dummes Viech hast mir nichts zu sagen, wollte ich brüllen. Doch ich biss mir auf die Lippen. »Ich muss jetzt Hausaufgaben machen, ich habe noch zu tun.«
    Schmal lächelnd wandte sie sich ab und schloss die Tür leise.

    Wir Neuankömmlinge unterschieden uns von den anderen Schülern, weil wir noch wie wilde Tiere waren, die erst gebändigt werden mussten. Ich und Marianne zumindest machten einen ähnlichen Prozess des Gebrochenwerdens durch. Marianne kämpfte am Telefon mit ihren Eltern. Meist nachmittags zwischen der letzten Unterrichtsstunde und dem Training für das Feldhockey schrie sie auf Schwedisch den halben Campus zusammen. Von fern, wenn ich den steilen Weg vom Campus zu meinem Dorm hinunterging, klatschten Mariannes Worte wie Sahnetorten an meine Ohren. Je näher ich dem Haus kam, die Treppe hochstieg und in unser Zimmer ging, desto lauter wurde ihre Stimme und desto länger wurden die Sätze. Ich öffnete die Zimmertür und sah, wie sie durch unseren Käfig tobte, hörte, was sie ihrem Vater an den Kopf warf. Alles, was sie mir von den Gesprächen später ins Englische übersetzte, war: »Ich will nach Hause.«
    Auch ich kämpfte meinen Kampf, doch ich kämpfte ihn innerlich. Stumm. Warum durfte ich meinen Freund nicht sehen, wann es mir passte? Ich fühlte mich in meinen Freiheiten beschränkt und in meinem Tun beobachtet. Die Liebe war so rasend schnell über mich gekommen, dass meine Gefühle den Umständen gar nicht hinterherkamen. Keiner hier sprach meine Sprache, ich war es, die eine fremde Sprache schreiben und in ihr denken lernen musste. Mich auf Deutsch auszudrücken, war mir nur ab und an nachts möglich, wenn ich in meinen ausgedienten Kalender schrieb. Sonst war alles, was ich träumte, dachte, schrieb und redete, englisch. Da es aber darum ging, meine Gefühle und Gedanken auszudrücken, war mir die Sprache fremder als

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