Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
je zuvor. Ein stummes Verlangen danach, Zeit zu haben, um mein aufgestautes Heimweh, die Liebe zu Mike, das Verlangen nach Nähe und die Sucht nach Distanz aussprechen zu können, wuchs und wuchs und ließ mir keine Ruhe mehr. Ich konnte mich nicht verstecken, ich konnte nicht fliehen, ich hatte keine Zeit mehr.
Nach einem Monat wollte mich Mike seinen Eltern vorstellen. Meine Eltern erlaubten aber keine Ausflüge mit Mike und seinen Freunden. Sie waren vielleicht zu weit weg, um die Gefahren einschätzen zu können, die ein solcher Ausflug barg. Ich wollte ihn mit auf die Farm nehmen, mit ihm die wenigen, freien Stunden von Samstagnachmittag bis Sonntagabend verbringen. Doch als ich meinen Vater fragte, erlaubte er es nicht. So fuhr ich ohne ihn am Wochenende auf die Farm, kochte für mich, schlief und kehrte wieder zurück in die Schule.
Eines Sonntagabends saßen wir nach meiner Rückkehr eng aneinandergeschmiegt auf der Holzbank vor dem Haus des an jenem Abend abwesenden Deans. Mike küsste mich immer heftiger, entwickelte eine ungeahnte Kraft und schob seine Hand immer tiefer in meinen Schritt. Mich überkam ein grausiges Schauern. Das war mein Bereich, und dort hatte er nichts zu suchen. Er versuchte es noch mal, doch ich wies ihn vehement zurück.
»Was hast du denn?«, fragte er irritiert. »Es gab schon welche, die haben es in der Aula gemacht.«
Ich schüttelte den Kopf. Sex wollte ich überhaupt nicht. Ich wusste nichts darüber.
Mike meinte, wir würden uns schon so lange kennen und was ich denn wolle. Ich wusste es nicht.
»Komm schon«, flüsterte er.
»Nein.«
Er sah mich an, und ich sah ihn an und dachte, du kennst mich doch gar nicht, du weißt nichts über mich. Ich bin ein Cowboy auf einem Wildpferd, du kannst mich nicht besitzen, niemals.
4
Am Nachmittag verbringe ich viel Zeit mit Lesen und falle immer wieder über dem Buch in einen kurzen Schlaf. Das Sonnenlicht fällt über die Baumkronen durch das Fenster, als es an der Haustür klopft. Jim meint, er müsse hinterm Teich einen neuen Zaun für die Schafe aufstellen – ob ich ihm helfen wolle.
Auf diese Weise werde ich von meiner Müdigkeit abgelenkt, und über Jims Gesellschaft freue ich mich immer. Ich ziehe meine Stiefel an, trete durch die Fliegentür – die, sobald die Temperatur unter null sinkt, durch eine gläserne Windfangtür ersetzt wird – und setze mich neben Jim in einen Mini-Jeep ohne Überdachung und mit einer offenen, kippbaren Ladefläche. Wir fahren über den holprigen Pfad an ein Rinnsal, in dem mal mehr, mal weniger Wasser fließt. Heute gurgelt es fröhlich vor sich hin und ist übersät mit leuchtend gelben Blättern. Wir stapfen durch die schwarze, ölige Erde. Die Sonne scheint mir auf den Rücken und lässt mein Blut spürbar pulsieren. Ich sehe die Stelle, an welcher der Holzzaun umgeknickt ist, als wären die Latten aus Papier. Die drei von Flechten bewachsenen, aufgesplitterten Planken wurden durch enormen Druck nach vorne gebogen. Der senkrechte Pflock, in dem sie eigentlich verankert sind, liegt auf der Erde.
»Fünfunddreißig Schafe«, sagt Jim nur mit einem Nicken in Richtung des angerichteten Schadens.
»Und das Holz war morsch.«
Jim und ich lösen die verbogenen Planken aus den Schlitzen, und Jim hebt den morschen Balken aus dem Gras. Er landet auf dem Gator. Mit den Stiefeln schließen wir das Loch, räumen die Planken beiseite, dann holen wir den neuen Holzbalken von der Ladefläche des Gators. Ich packe mit an, und wir rammen ihn in den Boden. Jim zieht ihn mit kräftigen Bewegungen vor und zurück, um ihn tiefer in der Erde zu verankern, dann reicht er mir stumm einen Hammer. Er richtet auch den zweiten schiefen Holzpflock und drückt ihn auf die gleiche Weise in den Boden. Ich glaube, dass er den Menschen lieber aus dem Weg geht, als das Risiko einzugehen, einen Fehler im Umgang mit ihnen zu machen. Auch ich gehe den Menschen aus dem Weg, ich scheue sie ein wenig, verstehe sie manchmal nicht, kann mich aber auch in sie verlieben.
Der Vorschlaghammer baumelt in meiner Hand, ich beobachte, wie Jim alle drei Planken aus den Fassungen des anderen wiederaufgerichteten Holzpfahls zieht. Ich verfolge die Leichtigkeit seiner Bewegungen mit gebannten Blicken. Mit aller Kraft haue ich auf die Schnittfläche des Pflocks, doch das Ding bewegt sich kein bisschen. Ich haue noch mal und noch mal. Ich fluche. Jim kommt und nimmt mir den Hammer ab, holt aus und lässt ihn mit solcher Kraft
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