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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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womöglich schwerste Aufgabe im Leben? Den Mut, Unabhängigkeit zu leben?
    Doch warum reicht mir dann nicht einfach die Erkenntnis aus, ein Einzelgänger zu sein und für immer einer zu bleiben? Nein, es muss schon Cowboy sein. Der Geruch allein. Ich könnte diesen Typus Mensch ja für mich neu erfinden, das wäre dann eine Frau in Männerkleidung, eine Person, die irgendwann mal in ihrem Leben beschlossen hat, alle Zelte abzubrechen und ohne Besitz, ohne Familie einsam und alleine durch die Freiheit zu ziehen. In dem Zusammenhang, finde ich, klingt das Wort Freiheit jedoch viel mehr nach Einsamkeit. Ob ich das wirklich bin? Sitzt dieser Cowboy nicht auch irgendwann, so wie ich jetzt, am Feuer und muss an das zurückdenken, was er sich nie verziehen hat, nämlich alle Zelte abgebrochen zu haben und ohne Familie zu leben und alleine zu sterben?
    Ich lasse das Feuer ausbrennen, lösche das Licht, schließe die Haustür ab und gehe die Treppe hoch in mein Bett. Ich ziehe die dicke Decke bis ans Ohr, fast wie früher lasse ich nur einen kleinen Luftschlitz zum Atmen frei. Die Nächte werden immer stiller, je mehr sich der Herbst zum Ende neigt.

13
    De r Winter endete mit der Spring Break. Am zweiten März fuhr ich nach New York, um meine Cousine zu besuchen. Fünf Stunden Autofahrt, und ich war weit weg von Zahlen, Aufsätzen, der kriechenden Verzweiflung und Ausgeschlossenheit. Ich war umgeben von Eismatsch, Hochhäusern, Müllsäcken, Leuchtreklamen und hupenden Autos.
    Gab es die Möglichkeit, hier mein Leben nach Vermont Academy fortzuführen? New York hörte sich im Lebenslauf immer gut an. Wenn ich auf einer New Yorker University studieren könnte, hätte ich dann die Anerkennung, die ich wollte? Hatte ich dann Ruhe?
    Ich versuchte, den Gedanken auszukosten, hart, gescheit und leistungsorientiert zu sein. Ich stellte mir eine Louise vor, die sich an der Columbia University einschrieb und nach vier Jahren mit einem Zettel in der Hand und als ausgewiesene und anerkannte Irgendwas weiter die Karriereleiter emporstieg. All die bewundernden Kommentare der Züricher Bekannten klangen in meinen Ohren: »Oh, New York: wie toll!« Oder: »Mensch, Columbia University, und danach?« Oder: »New York ist die beste Stadt der Welt. Und mit so einem Abschluss von der Columbia University stehen dir alle Türen offen.«
    So stellte ich mir das vor.
    Realität war, dass ich wie ein Tiger auf der Suche nach Nahrung, gehetzt von unermüdlichen Jägern, durch die nassen Straßen zog. Nach der Stille in Vermont erschienen mir der Lärm und die Unruhe in den Straßenschluchten gigantisch groß.
    Morgens verließ ich das Gästezimmer in der Wohnung meiner Cousine und machte mich auf den Weg nirgendwohin. Ich passierte neonbeleuchtete Tiergeschäfte mit Kanarienvögeln im Schaufenster, kleine Antiquitätenläden und auffällig viele Schuhgeschäfte. Die Straßen glänzten nasskalt. Auf überdachten Gehwegen waren Alustühle und Tische aufgestellt, und trotz des Nieselregens war es für manche warm genug, um draußen zu verweilen – um zu rauchen. Ich tauchte kurz in ein Café ein. Die Türen öffneten und schlossen sich im Sekundentakt, Geldbörsen und hungrige Blicke wurden hereingebracht, Plastiktüten und Pappbecher rausgetragen.
    Gegenüber dem Tresen saß ich mit meinem Notizbuch auf einem unbequemen Hocker und betrachtete durch die Glasscheibe hindurch die vorbeischleichenden Autos. Überall verschwanden vorübereilende Passanten mit Zigaretten oder bunten Flüssigkeiten in Plastikflaschen hinter den nächsten Betonsäulen. Eigentlich überraschte mich New York überhaupt nicht. Ich bekam das Gefühl, dass ich diesem Ort sowie dem ganzen Rest der Welt völlig gleichgültig war.
    In der Spiegelung der Fensterscheibe beobachtete ich, wie hinter meinem Rücken irgendetwas Fettiges zubereitet wurde. Ununterbrochen zischte das Bratgut in den Pfannen, Töpfe knallten, Messer hackten. Die Gerüche waren für neun Uhr morgens viel zu schwer und viel zu feucht – sie erinnerten mehr an ein herzhaftes Mittagessen. Die Kasse spuckte Belege aus und kassierte Münzen und Scheine als Tausch gegen Heißgetränk oder Frühstück.
    Die Küchengeräusche entführten mich sekundenlang zurück nach Hause. Dort in der Küche hatte ich Hausaufgaben gemacht, dort hatten frische Nudeln von der Decke gehangen, wurde Teig ausgerollt. In der Küche hat meine Mutter Zucker für gebrannte Creme geschmolzen, sonntags Eierspeisen für meinen Vater zubereitet

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