Fraeulein Jensen und die Liebe
was denke ich denn? Wahrscheinlich spricht Rocko gar nicht von sich, sondern es ist eine rein theoretische Abhandlung dieses Themas. Ich meine, Ranga Yogeshwar erklärt im Fernsehen doch auch immer sämtliche Phänomene aus dem Weltall, ohne jemals dort gewesen zu sein. Nein, nein, Rocko Schamoni geht nicht fremd. Vielleicht sollte ich das aber lieber noch einmal absichern.
»Aber muss man denn in einer Beziehung zwangsläufig fremdgehen?«, frage ich und betone das »zwangsläufig«. Auf diese Frage kann man nur mit einem empörten »Nein!« antworten.
»Nun, es ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Stoffwechsel, der für unsere Verliebtheit sorgt, spätestens nach drei Jahren verebbt. Dann ist man nicht mehr auf den anderen fixiert und sieht, dass andere Menschen auch toll sind.«
»Und dann muss man zwangsläufig fremdgehen?« Ich betone wieder das »zwangsläufig«. Irgendwann muss ihm doch klar werden, dass er sich in etwas verrennt.
»Natürlich kann man es auch aus Rücksicht auf den anderen sein-lassen, aber ich glaube, dass man sich dann selbst betrügt.«
Ich bin sprachlos.
Rocko spricht zum Glück weiter, sodass keine unangenehme Pause entsteht.
»Weißt du, Männer haben rein biologisch einen Grundauftrag. Sie sollen sich so oft wie möglich vermehren. Es ist immer wieder ein unheimlicher Hormonstress, wenn man eine Frau sieht«, sagt er und lacht.
Ob er den auch hätte, wenn er mit mir zusammen wäre? Würde er auch noch andere Frauen sehen? Ich befürchte schon. Ich könnte auf Anhieb weinen, doch ich reiße mich zusammen.
»Das Leben als Mann muss ja wirklich anstrengend sein«, bringe ich heraus und lache gequält.
»Auf jeden Fall.« Rocko wirft lachend den Kopf in den Nacken. »Ich habe in einem Artikel gelesen, dass beim Mann etwa 60 Mal am Tag der Motor angeht und die Drüsen wieder Botenstoffe ausschütten. Da geht man als Mann durch die Welt und plötzlich hört man wieder den Grundauftrag.« Er senkt die Stimme und brummt: »Du könntest noch mehr Kinder zeugen.«
»Das ist ja furchtbar«, druckse ich.
»Und ob. Vor allem der Frühling ist grauenhaft. Permanent Hormonstress. Meine Freunde, die auf dem Land leben und nicht den ganzen Tag attraktive Frauen sehen, haben das Problem nicht.«
Okay. Sollten Rocko und ich zusammenkommen (was mit einer Wahrscheinlichkeit von nahezu 100 Prozent ausgeschlossen ist), müssten wir aufs Land ziehen. Nein. Auf eine einsame Insel. Nur Rocko und ich. Ob man einen Menschen für immer von der Welt abschotten kann? Oh Gott, ich müsste Rocko Schamoni in einen Keller sperren.
»Aber gibst du denn dem Hormonstress nach?«, frage ich leise. Jetzt könnte er noch die Kurve kriegen und wunderbar »Alles nur Spaß« oder so etwas rufen.
»Für mich kann es schon Abenteuer geben, ich will mir nichts kategorisch verbieten.«
Rocko Schamoni lacht und nimmt den letzten Schluck Tee.
Ich bin am Ende. Er ist tatsächlich ein Rockstar. Das, was ich immer wollte. Und nun fühle ich mich vollkommen überfordert. Könnte ich bitte schnell einen Bankangestellten mit Plastikzwerg im Vorgarten kennenlernen?
»Ich muss dann auch mal los«, sagt Rocko. »Oder hast du noch Fragen?« Er lächelt wieder, was unglaublich charmant aussieht, und ich flüstere: »Nein, vielen Dank. Danke für das tolle Gespräch. Alles geklärt. Wirklich. Prima. Danke.«
Rocko Schamoni bezahlt meinen Apfelsaft und wir verlassen zusammen das Café Oriental.
Auf der Straße gibt er mir die Hand und zieht in die Hamburger Nacht. Er wird sich bestimmt mit Freunden treffen und bis morgens unterwegs sein. Er wird witzig, charmant, geistreich und intelligent sein. Er wird Frauen kennenlernen, die sich Hals über Kopf in ihn verlieben. Er wird sich betrinken und glücklich sein. Er wird den Abend in vollen Zügen genießen und am nächsten Morgen das Gefühl haben, das richtige Leben zu leben.
Ich starre ihm noch lange hinterher. Dann gehe ich nach Hause, habe schon nach einer halben Stunde meinen Snoopy-Schlafanzug an und weine mir die Augen aus dem Kopf.
3. Joscha Kiefer und ein Kaffee mit Herrn Fritz
Heute ist also der erste Tag nach dem Date mit Rocko. Gestern Abend ist zwar erst ein paar Stunden her, und doch habe ich das Gefühl, es liegen Jahre dazwischen. Dunkle Jahre der Enttäuschung und Entbehrung. So fühlt es sich also an, von einem Rockstar sitzengelassen zu werden. Na ja, mehr oder weniger.
Es ist jetzt genau halb zwölf. Ja, mittags um halb zwölf. Eigentlich sollte
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