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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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zwiespältig war die Nase. Vor dem Spiegel haßte ich sie, lag ich aber in den Pantoffeln, genoß ich es, auf ihren Flügeln von Duftwolke zu Duftwolke zu schweben, von einer Schönheit zur andern, mal ein Bändelchen erhaschend, mal eine scharf nach oben strebende Naht, mal schlanke Schenkel, mal dicke, violette Krampfadern und leichenweißes Hängefleisch von donnernd herangestampften Pfosten, riesigen Pfosten, in den oberen Regionen von Verbänden umwickelt, eingepackt in einen gummigen Stützstrumpf. Glücklich sah ich golden beflaumte Waden, neckische Söcklein, pfiffige Röcklein und immer wieder diesen wunderbar schwarzen Seidenstrumpf, der das schlanke Frauenbein so zart mit Nacht schraffiert, daß etwas Weißhäutiges gerade noch durchschimmert und ganz oben, im abgründigen Dunkel der zart knisternden Stoffglocke, die Schneehaut erahnen läßt, das heilig Weiße ob der Strumpfgrenze.
    Ohne Nase keine Flügel, sagte ich mir. Und schaffte es allmählich, mich im Badezimmer geduldig zu betrachten. Id est, die beiden Gesichter, das im Spiegel und meines, begannen sich aneinander zu gewöhnen -sie lernten es, sich ruhig in die Augen zu sehen. Die Befürchtung, es könnte sich auch bei mir, wie beim Onkel, eine Rundglatze bilden, stellte sich glücklicherweise als falsch heraus mein Hinterkopf blieb normal behaart. Wie ich das gesehen hatte; Mit dem Handspiegelchen, womit denn sonst, und ohne mich besser machen zu wollen, als ich damals war, möchte ich doch erwähnen, daß ich es aus dem Necessaire des Fräuleins in der lauteren Absicht stibitzt hatte, meinen Hinterkopf zu mustern. Ja, die Absicht war lauter, ich schwöre es, muß aber gleich hinzufügen: Das kleine Ding hatte es in sich! Als ich es hinter mir hochstreckte und eben dabei war, den Hand- mit dem Wandspiegel in eine gegenseitige Spiegelung zu justieren, mußte ich verwundert feststellen, wie perfekt sich das Spiegelchen in die Innenhand schmiegte. Bref: Bei einer Hinterkopfbetrachtung im mitternächtlichen Badezimmer war ich an ein Instrument geraten, das von sich aus signalisierte, es könnte mir helfen, unter die Röcke und hinter das Geheimnis zu kommen, das sie so schön, so aufreizend verhüllten.
    Aber bleiben wir bei der Nase, genauer: beim Zwiespalt.
    Seit ich schärfer riechen konnte, konnte ich schärfer denken, nur
    war leider auch dies eine zwiespältige Sache.
    Ich dachte also.
    Hinter der Nase dachte es weiter.
    Und sei’s, daß mich die strengen Blicke des Fräuleins verstörten, sei’s, daß ich mich vor einem Donnerwetter des Onkels fürchtete -ich wurde stiller. Aus unbeantworteten Fragen und nagenden Zweifeln brütete sich etwas zusammen und wurde größer und verhockte im Inwendigen wie ein übler Geruch in der Schwüle. Das war nicht zu greifen, nicht zu verscheuchen, es bedrückte mich, drückte mich nieder, und bald war ich überzeugt, nicht nur nicht weiterzuwachsen, sondern kleiner zu werden, breiter, runder. Was war denn los mit diesen verdammten Katzen, dachte ich immer wieder, warum hatten sie nach dem Sumpftod der Mutter die Kinder mit Weihwasser abgespritzt, warum hatten sie sie davongetragen und im graudüsteren Uznach ins Waisenhaus geworfen; Was hatte Joseph, der Älteste, dem Uznacher Pfarrer versprechen müssen, um vier von den sechs Katzen zurückzubekommen, und was war mit jenen passiert, die für immer verschwunden blieben; Blieben sie wirklich verschwunden; Oder sind sie irgendwann zurück-gekehrt; Und warum hatte es der frisch mit Zellwegers Witwe, einer geborenen Singer, verheiratete Dr.
    jur. Joseph Katz für klüger gehalten, seinen Namen nicht auf das Dach und in den Himmel zu schreiben? Warum hatten sie diesen Namen später weggeschossen, nicht aber den von Zellweger, und warum hatte sich der Sohn des Joseph, nämlich Jacobus, mein späterer Onkel, nach dem Untergang der Seidenfabrik Hals über Kopf in ein Priesterseminar geflüchtet? War im Katzengeschlecht etwas verborgen, das ihm Feinde bescherte, natürliche Feinde, nahe Feinde, freundliche Feinde, hündisch ergebene, und könnte es sein, fragte ich mich zunehmend gequälter, noch kleiner, noch runder werdend, daß zu diesen Katzenfeinden auch das Rudel der Hilfsbibliothekare gehörte? Fütterten sie mich mit geheimen Papieren, um mich vor dem Onkel und seiner Herkunft zu warnen; Wollten sie mich, ähnlich wie die Altherren, auf ihre Seite ziehen: Gelt, du bist einer von uns!; Aber warum; Was hatten sie davon; So viele Fragen, keine Antwort und

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