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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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bemerken, nicht etwa ein Fernglas, das etwas Fernes in die Nähe holt, nein, das war wieder dieses Augen, das jede Nähe in die Ferne rückt - ein Appenzeller, der sich in nichts von den anderen Appenzellern unterschied, sah uns mißtrauisch entgegen. Kein Gruß, nicht einmal ein Laut. Das Männchen hockte in einer Art Kiosk, sein Pfeifenkopf hing am Metzgerhaken, und erst, nachdem das japsend keuchende Fräulein einen Fünfliber auf die Lade gelegt hatte, kam eine Hand hervorgeschlüpft, wurde über der Münze zur Kralle und zog sich dann, scheu wie ein Murmeltier, in die Höhle zurück.
    Ist er das?, fragte ich leise.
    Ja, stieß sie hervor, das sei der Broger.
    Da packten wir uns an den Händen, aber so fest wir auch drückten, unser Lachen konnten wir nicht mehr verhindern. Der Broger, der Broger!
    Der Gipfel-Appenzeller reagierte mit keinem Mucks, schweigend hockte er hinter seiner Lade, schweigend und immerzu äugend, weshalb es dem Fräulein bald einmal zu bunt wurde und wir uns auf eine abgeschliffene Steinstufe unter das Gipfelkreuz setzten. Sie trug eine Windjacke, ich die Pelerine, noch schien die Sonne, der Felsen strahlte Wärme ab, und so genossen wir es, ruhig und immer ruhiger atmend, den unendlichen Himmel wie einen Ozean zu überblicken. Ein paar verschneite Inseln lagen dann, das waren die höchsten Gipfel des Alpsteins, aber sonst gab es nichts im weiten Himmel, nur das Fräulein, mich und kreisende Dohlen über dem schwarzklobigen Kreuz.
    Es ist unsere Heimat, sagte sie leise.

36
    Ein seltsamer Gedanke, zugegeben, eigentlich eine verkehrte Welt, der Stiftsbibliothekar verschloß die Papiere, die die Geschichte der Katzen enthielten, im Giftschrank, während die Stark dafür sorgte, daß sie mir Stück für Stück in die Finger gespielt wurden! War es so? Ging sie tatsächlich davon aus, daß mir die Medizin aus dem Giftschrank das katzische Schnuppern und Augen schon ausbrennen würde? Hoffte sie, die Schauergeschichte vom Ende der Seidenfabrik, das sie ja miterlebt hatte, würde mich auf die richtige Bahn lenken, weg vom verwunschenen Geschlecht, hin zu all den Guten Braven Reinen, die weder schnuppern noch blicken noch sonst etwas tun, das sie und die Muttergottes im tiefsten verletzte; Ich denke darüber nach, wie ich damals darüber nachzudenken versuchte, und stolpere wieder, wie damals, in dieses Dunkel hinein, das so groß ist, daß man sich gar nicht vorstellen kann, es im eigenen Schädel zu haben. Was der Onkel eine schlichte Variante nannte, war in Wahrheit der personifizierte Zwiespalt. Ausgerechnet sie, die weder lesen noch schreiben konnte, beherrschte eine der schönsten Bibliotheken des Abendlandes, und es war ihr zuzutrauen, daß sie aus dem Hintergrund meine Lektüre organisierte oder zumindest mit ein paar Stücken ergänzen ließ. Denn das Fräulein war schlau, lebenstüchtiger als der Onkel, und wiewohl sie ihre Furcht vor dem Sechsten ins Riesenhafte gesteigert hatte, wiewohl sie marienfromm und fürchterlich katechismusgläubig war, hatte ihre Strenge eine wolkenweiche, liebreizende Rückseite. Nur: Die wollte sie nicht mehr hervorkehren. Seit der Sache mit dem Handspiegelchen herrschte Krieg zwischen uns, ich war unverbesserlich ein Katz, und sie war kruppstahlhart ein Strafengel, der es gerade mal duldete, daß ich morgens in die Küche schlich, um meine Milch zu trinken. Hatte sie mich endgültig aufgegeben; Gab es für einen wie mich, dem das Katzische aus dem Gesicht sprang, weder Barmherzigkeit noch Erlösung;
    Der Onkel wußte inzwischen Bescheid, und das Strafgericht, deutete ihre Miene an, würde schrecklich sein, im schlimmsten Fall ein glatter Rausschmiß, im mindesten aber die Versetzung ins Scfriptorium. Ich konnte weder schlafen noch essen, und dann
    Fehlanzeige!
    Ich hatte vergessen, daß der ehrwürdige Stiftsbibliothekar eben doch mein avunculus war, der Bruder von Mama, und offenbar geneigt, pro nepote ein Auge zuzudrücken. Er lag auf dem Diwan in
    den Seidenkissen und fragte: Du spekulierst neuerdings?
    Ich stellte den Finger auf meine Zeile, blickte auf.
    Nunu, erklärte er, lateinisch speculor heißt auf deutsch: ich spähe,
    ich beobachte. Auch ist speculor mit speculum verwandt, und das heißt – na?
    Tut mir leid.
    Spiegel, versetzte er.
    Ah ja?
    Er nickte. Speculum heißt Spiegel.
    Interessant, bemerkte ich.
    Lassen wir das, versetzte der Onkel mit einem gütigen Grinsen, lassen wir das Spekulieren, lieber Nepos!

37
    und damit bin ich beim

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