Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
vor Schrecken.
    Ich lasse das Spiegelchen in der Innenhand verschwinden, aber zu spät: lii, schreit sie wie am Spieß, iii, das ist ja ein Spiiiegel!
    Madame, versuche ich die Situation zu retten, die Pantoffeln sind Vorschrift.
    Vorschrift!, höhnt sie, Vorschrift, das Ferkel kommt mir mit Vorschrift, na warte, du wirst mich kennenlernen!, haut beide Gummischuhe in die Filzhauben hinein und rutscht mit der Drohung, ich würde gleich von ihr hören, im Sturmschleifschritt der Gruppenführerin in den Saal hinaus.
    Zugegeben, es ist nicht gerade fein, mit einem Handspiegelchen zu arbeiten, doch schien mir dies das einzige Mittel zu sein, um meiner Faszination auf den Grund zu kommen. Was für eine Verbindung bestand zwischen mir und dem andern Geschlecht? Was reizte mich an ihrer Unterwäsche? Oh, ich mußte es wissen, jung sein, hatte der Onkel erst kürzlich doziert, heiße Erfahrungen suchen, also suchte ich und gab mir nach Kräften Mühe, Licht ins Dunkel meiner Geheimnisse zu bringen.
    Ich sah in den Saal hinaus.
Noch war die Gruppenführerin unschlüssig.
Bittesehr, versuchen Sies doch bei einem Aufseher, rutschen Sie
    auf einen dieser Herren zu! Ich glaube kaum, daß er bereit sein dürfte, so etwas wie eine Verzeigung entgegenzunehmen, denn ein Aufseher, müssen Sie wissen, hat eine hohe, ja hochnäsige Meinung von sich und fühlt sich über alles Niedere erhaben. Würden Sie einem dieser Herren erklären wollen, man hätte Ihnen ein Handspiegelchen zwischen die Gummischuhe geschoben, würden sie das in ähnlicher Weise als Zumutung empfinden wie die unerhörte, ihnen immer wieder gestellte Frage, wo denn bittesehr die Toiletten seien. Aufseher, hatte mir der Onkel erklärt, würden sich im Gang des ewig gleichen Tages mit den Bildern und Gegenständen, die sie bewachen sollten, mehr und mehr verwechseln. So blickten sie als sterbende Cäcilia, als chinesische Weisheit oder als ein in Elfenbein geschnitzter Bibeleinband auf das gelangweilt oder besserwisserisch an ihnen vorüberschlarpende Gewusel und konnten beim besten Willen nicht nachvollziehen, warum ganze Besucherströme angesichts der heiligsten Kulturgüter des Abendlandes nur eine einzige Frage kennen, nämlich die, wo die Toiletten seien. Haben Sie begriffen, Gruppenführerin; Sie wenden sich nicht an einen Aufseher, sondern an die sterbende Cäcilia, und seien Sie versichert, Ihre Beschwerde würde am paradiesesnahen Leidenslächeln der grausam gequälten Märtyrerin gnadenlos abprallen!
    Bleiben die Hilfsbibliothekare. Die wären gewiß bereit, sich auf die Sache einzulassen, das schon, ja, so was leicht Schlüpfriges gefällt unseren Maschinisten, aber höchstens zum eigenen Gaudium, denn wer selbst unter der Stark zu leiden hat, wird sich hüten, einen andern ihrer Frömmigkeit auszuliefern. Die beiden Türgreise? Nur zu! Erstatten Sie Meldung! Sagen Sie dem Riegelzieher oder dem Garderobier, was Ihnen beim Pantoffelfassen passiert ist. Allerdings sind ihre ausgedörrten Ohren vollkommen taub, da wäre es wohl das beste, Sie würden Ihre Beschwerde den beiden Alten in den Hintern schreien.
    Als ich noch einmal in den Saal zu sehen wagte, hatte sie die Richtige bereits gefunden. Die Stark stand stramm, und die Gruppenführerin, den Zeigefinger immer wieder zum Portal stoßend, schien ihr erregt flüsternd zu rapportieren, vor der Schwelle zum Allerheiligsten werde man - gespiegelt!
    Gespiegelt?
    Von unten!
Aber das ist ja –
Die Höhe!
Pech gehabt. Auch die Stark drehte jetzt den Kopf, beide Frauen
    und sämtliche Aufseher blickten vorwurfsvoll in meine Richtung, auf den schrecklichen Nasenkatz, der den Ruf der weltberühmten Stiftsbibliothek in den Dreck gezogen hatte. Ihre Blicke schossen wie Pfeilbündel auf mich zu, und ich konnte förmlich spüren, wie sich die Herren Aufseher, die aus ihren Bildern und Büchern herausgetreten waren, vor Abscheu und Ekel wanden. Ecce nepos, werden sie sich gesagt haben, er kann aus seinem Fell nicht heraus!
    Von ihren Blickpfeilen durchbohrt, drückte ich mich mit letzter Kraft um die Säule, hockte mich hin, griff zum Buch. Die Zeilen schwammen, die Wörter lösten sich auf, ich wußte nur allzugut, was nun folgen würde. Der reuige Sünder, von der eigenen Nase herumgeführt, war rückfällig geworden. Klare Sache, auf das Handspiegelchen würde sie reagieren müssen, und ich verrate es schon jetzt: Sie hat reagiert, allerdings einfallslos, eher schäbig -sie informierte den Onkel.

34
    Wie gesagt:

Weitere Kostenlose Bücher