Fraeulein Stark
Stiftsbibliothekar, und wenn ich vorher vom Zwiespalt im Fräulein gesprochen habe, dann fehlen mir jetzt die Worte, um das Rätsel, zu dem sich dieser Mann im Lauf des Sommers für mich entwickelt hat, auch nur andeutungsweise zu benennen. Was meinte er mit seinem: Lassen wir das, lassen wir das Spekulieren? Wollte er damit sagen, daß ihm meine Katzensuche auf die Nerven gingß
Aber warum ließ er dann zu, daß ich weiterhin mit interessanten, als Privatissima gekennzeichneten Papieren bedient wurde? Er war doch der praefectus librorum, ein deutliches Wort von ihm, und keiner aus dem Rudel der Hilfsbibliothekare getraute sich noch, aus der Tiefe verschnürte Akten heraufzuholen, persönliche Briefe und Photos, die immer wieder meinen Großvater zeigten, den gescheiterten Seidenfabrikanten und Bademeister unter seinem Sonnenschirm am Weiherrand.
Und war sein Tadel nicht erstaunlich mild ausgefallen, fast zärtlich, gerade so, als amüsiere es den Onkel, daß vor dem Portal ein kleiner Katz heranwuchs, ihm ähnlicher von Woche zu Woche, von Tag zu Tag; Aber wie konnte ihn meine Katzenhaftigkeit amüsieren, da er doch alles unternahm, um seine zu verleugnen? Fragen über Fragen, doch war es aussichtslos, meinem Onkel Katz, der bodenlange Nachthemden trug und sich unter Soutanen, Meßgewändern, dem weißen Kittel des Wissenschaftlers und erst noch unter einem leichenweißen Fettpolster verbarg, auf die Schliche zu kommen. Er lebte für die Bücher, rein und ausschließlich für die Wörter, alles andere war unwichtig, unwirklich wie eine Schweinsbratwurst, Nunu-Zeug, nicht von Belang. Über dergleichen war der Geisteskopf erhaben, das war nicht seine Sache, Sachen waren überhaupt nicht seine Sache, Nomina ante res, lautete die Devise, wichtiger Begriff, grundlegende Erkenntnis, was zur Ding’ und Fleischeswelt gehörte, meinte er abschätzig, würde irgendwo da unten im Unwirklichen verblassen. Glücklicherweise galt dies auch für das Spiegelchen. Der Onkel hatte mich ein paar Tage lang geschnitten, aus welchen Gründen auch immer, vielleicht soff er zuviel und konnte es, verkatert, wie er war, nur schwer ertragen, daß ein verwandter Katz den Schweif unter seinen Tisch hängen ließ. An diesem Abend jedoch, da er mich abstrafen sollte, nahm er mich wieder zur Kenntnis, grinste sogar, und was sich die Stark als reinigendes Gewitter gewünscht haben mag, als Blitz, Donner und Bannstrahl, kam wie ein laues, mich erquickendes Lüftchen daher. Spekulieren sei mit speculum verwandt, bemerkte der Onkel salbungsvoll, das möge ich in Zukunft unterlassen.
Damit war unser altes, nunufröhliches Verhältnis wiederhergestellt, ihm schien es offenbar schnuppe zu sein, daß ich eben doch ein kleiner Katz war, zumindest ein Halbkatz, und den Nachmittagsschönen mit schiefen Augen um die sommersprossigen Beine strich. Aber wie beim Wetterhäuschen, wo das Auftauchen der einen Figur das Verschwinden der andern nach sich zieht, hatte die ausbleibende Bestrafung zur Folge, daß sich die Stark vor dem Onkel und mir verdrückte. Wenn ich vom Ministrieren in die Küche kam, stand auf dem Tisch die Milch bereit, daneben lag ein Brot, dünn mit Butter bestrichen, ohne Konfitüre, das Fräulein war sauer, und sie blieb sauer, vermutlich für immer. Was für ein Pfuhl, mag sie gedacht haben, was für ein Katzennest! Statt mich in den Maschinensaal zu verbannen, ließ mich der Onkel weiterhin in den Pantoffeln, und wieder einmal, bereits zum dritten Mal, war sie, die Gerechte, die Düpierte.
Indes glitt die Bücherarche, von Vize Storchenbein pilotiert, mit all ihren Sälen, Decks und Frachträumen in den September hinüber, in dunstige Vormittage hinein, die mich hie und da ein wenig frösteln ließen, der hohe Sommer war vorbei, der Zenit durchfahren, die Klosterschule kam näher, ein betürmter Horst auf nebelumfluteter Klippe, von schwarzen Vögeln umflattert, ewig vereist, ewig verwintert -bref, liebe Besucherin, meine Zeit in der Bibliothek läuft ab, und so darf ich Sie jetzt höflich bitten, den Blick noch einmal nach unten zu richten, auf den armen, verkrümmten Pantoffelministranten an der Schwelle zum Barocksaal.
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Ja, meine Verehrte, auch da handelt es sich um einen Zwiespalt, was sage ich, in diesem Fall ist es eine richtige Spaltung -nicht mit einem haben Sie es zu tun, sondern mit zweien, und verschiedener könnten die beiden nicht sein. Weder Brüder noch verwandt, schlimmer: Zwei Varianten einer Person, meiner
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