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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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Person. Variante eins, nämlich der Nasenzwerg zu Ihren Füßen, wurde in den letzten Wochen zunehmend frecher, auch raffinierter, während Variante zwei, die aus der Zukunft kommt, immer deutlicher ein Kutten-und Zöglingsgesicht präsentiert, unerbittlich und streng, folgsam und fanatisch. Variante zwei kommt mit stürmischen Sandalenschritten, mit wehender Kutte von jenem Felsenhorst herabgeeilt und macht schon von weitem klar, daß man als Zögling nicht mit sich spaßen lasse. Ob das heiße, fragt die Eins eher zaghaft, daß sie dort oben, in der Klosterburg, Katzenvisagen nicht besonders mögen würden, worauf der Kutterich ein kräftiges: Allerdings! ruft, allerdings, du Pfeife, wer mag schon Katzenvisagen, wir jedenfalls nicht!
    Dieses Kutten-und Zöglingsgesicht trug in meiner Vorstellung eine Brille, ein altmodisches Gestell mit runden Gläsern, womit es ziemlich genau einer Photographie entsprach, die den jungen Onkel als Seminaristen zeigte: um den Bauch ein Zingulum, um den Mund ein Lächeln und die Augen hinter dicken Rillen wie unter Eis verborgen. So hatte der Seminarist, der nur in den Sommerferien in die Badeanstalt zu Besuch kam, unter dem sonnenbewohnten Nußbaum gesessen, neben sich auf der karussellrunden Bank ein paar Bücher, einige aufgeschlagen, andere geschlossen. Sollte die Brille die Katzennase zum Verschwinden bringen? Oder sahen die Augen der Katzen nur im Dunkeln richtig gut, weshalb sie bei Tag eine Brille tragen mußten, eine dick gerillte mein Onkel, eine schwarze Sonnenbrille der Großvater;
    Ich habe es gesagt: Der Onkel liebte es, nach dem Nachtessen wie ein Scheich auf dem Diwan zu liegen und in jene Paläste einzusteigen, die ein wahnsinniger Wüstenvater in den Sand gewundert hatte. Ihn fasziniere, hatte er eines Abends erklärt, der fromme Wahnsinn, und siehe da: Der künftige Klosterschüler hatte ähnliche Interessen! Auch er, der mit jedem Tag etwas größer wurde, suchte sich aus den Schublädchen des Katalogsaals am liebsten Texte heraus, die vom Wahnsinn der Frommen erzählten. Um dem Onkel zu gefallen; Auch, ja, gewiß, der Kerl schleimte und schmeichelte für sein Leben gern, aber sein Hauptmotiv war dies nicht, er war ja erst im Kommen, hatte noch viel zu lernen und wollte aus der einschlägigen Literatur erfahren, wie er vorgehen müsse, um den kleinen Katz endgültig aus mir vertreiben zu können. Keine leichte Sache, ein richtiger kleiner Mord! Das will bedacht und geplant werden, versteht sich, und so bestellte der fleißige Frömmler unter anderem ein Buch über den Apostel Paulus, von einem Paul Holzer, wenn ich mich richtig erinnere, worin ziemlich langatmig, aber doch interessant berichtet wurde, wie aus Saulus, dem übelsten aller Christen-Verfolger, Paulus geworden sei, der tüchtigste aller Apostel. Aus heiterem Himmel ein Blitz, das Pferd steigt wiehernd hoch, und was sich Sekunden später aus dem Staub erhebt, ist ein anderer. Der gleiche ein anderer. Nicht mehr Saulus, Paulus. Als ich am folgenden Morgen wie üblich bei der Stark in der Küche hockte, mußte ich nichts erklären, sie sah es ja selbst: Wieder hatte ich viel zu lange gelesen, wieder schmerzten mich die Augen, ich brauchte dringend eine Brille.
    Beim Mittagessen informierte das Fräulein den Onkel. Der hob die linke Braue. Dann meinte er: Meine Liebe, das ist eine gute Idee. Er muß ja bald eintreten, da kann es nicht schaden, wenn sie vorher seine Augen überprüfen.
    Ja, Monsignore, das denke ich auch. Kann ich abräumen?
    Der Onkel, die beiden Hände neben den Teller gelegt, lehnte sich zurück.
    Sie riß den Topf vom Tisch und hüpfte hinaus. Offensichtlich freute sie sich auf unseren Gang in die Stadt, dort gab es angeschriebene Häuser, und ein angeschriebenes Haus, pflegte das Fräulein voller Bewunderung für das Schriftliche zu sagen, läßt man nicht aus.

39
    Eine Weile standen wir verlegen in der Tür. Dann schien mich Porter zu erkennen: Ah, sagte er, der Nepos. Setzt euch!
    Kaum hatten wir Platz genommen, klatschte das Fräulein in die Hände. Nein, so etwas, rief sie, so ein Zufall!, und zeigte mit dem Zeigefinger auf den einzigen Gast, der vor einem Kaffee-Schnaps hockte, das ist ja der Broger!
    Dieser Broger war höchstwahrscheinlich ein anderer Broger als der Gipfel-Broger, aber sicher war ich nicht, denn es war Jahre her, daß ich mit dem Fräulein im Himmel gesessen hatte. Broger saß bei Porter am Stammtisch, wie der immergleiche Appenzeller im »Säntisblick« sitzt,

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