Fraeulein Stark
grauroten Zunge den Glasrand ab und lud mich dann madonnensüß lächelnd ein, mit ihr und Broger anzustoßen. Ja, da war er wieder, der schöne Zwiespalt im Fräulein Stark! Ausgerechnet sie, die all ihr Sinnen und Trachten dem Sechsten geweiht hatte, die mir jedes Blicken verbot und sogar das Riechen verübelte, beantwortete die Berührung ihrer sündenreinen Haut mit einer Belohnung, sie griff zum Glas, hieß mich anstoßen, ich trank und trank ein weiteres Glas, und als mein Kopf, von einem dritten Likörchen angeschlagen, gegen ihre pflaumenweiche Achsel taumelte, tätschelte sie meine Wange und flüsterte: Kannst schon bleiben, wenn du magst.
Indes servierte Hanni, verachtungsvoll an mir vorbeisehend, Runde um Runde, die Stube füllte sich, die Gläser begannen zu tanzen, dann tanzten die Tische die Nasen die Glatzen, es wurde laut, es wurde wild, und auf einmal fragte die Stark: Altherr Hassan, warum blinzeln Sie immer?
Ich blinzle nicht, versetzt der eikahle Schädel.
Doch, Altherr Hassan, Sie blinzeln!
Es wird still. Hanni steht starr. Da knipst der Altherr eine Zigarre an, pafft sie in Brand und sagt eisig: Wir haben es nicht gern, wenn sich Philister in unsere Angelegenheiten einmischen.
Bravo, ruft der emeritierte Gymnasialprofessor Birri, und Altherr Hadubrand, der bereits ein wenig schielt: Besen gehören in die Küche!
Aber das Fräulein läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Weder bin ich ein Besen, sagt sie, noch bin ich ein Philister.
Was denn sonst, höhnt die Corona.
Und das Fräulein, voller Stolz: Meine Herren, ich bin eine schlichte Variante.
40
Gegen sechs waren wir wieder an Bord.
Der greise Türhüter erhob sich vom Stuhl, der Garderobier glotzte. Weiter vorn trat ein Hilfsbibliothekar aus der Tür, blieb stehen, glotzte ebenfalls, grinste dann, winkte die andern heraus, worauf sich der Türrahmen füllte -hechelnd reckte das Rudel die Hälse. Zwei oder drei Aufseher, die eben unsere Abendschöne aus dem Saal gescheucht hatten, glaubten ihren Augen nicht zu trauen. Aber das Fräulein führte mich an allen sicher vorbei, dann durch das Labyrinth der Gestelle des Katalogsaals in die Kammer ins Bett. Sie zog mich aus, schloß die Läden, löschte das Licht. Wenn dein Bett schwankt,
betest ein Gegrüßetseistdumaria. Willst einen Gutenachtkuß?
Ich glaube, es schwankt schon.
Dann bete.
Sie ging.
Etwa zum Onkel? War die Stark der Zwiespalt in Person, die pure
Falschheit, mein Schicksal bereits entschieden; War dies die letzte Nacht an Bord? Schmissen sie mich morgen raus; Würde der Onkel den Arm ausstrecken, mit dem Zeigefinger zur Tür zeigen und rufen: Erst die Blicke, dann die Linzerin, schließlich das Handspiegelchen und jetzt, man glaubt es nicht, eine heimliche Berührung der Stark!; Verschwinde, Nepos, apage, laß dich nie mehr sehen!
Am Fuß der Bettstatt lag mein Koffer, bis zur Hälfte gefüllt mit schwarzen Kniesocken, und ich sah mich schon über die eisige Linth-Ebene ziehen, wo ich sie wie ein Hausierer anpreisen würde.
Die Arche war heftig ins Schlingern geraten, mein Bett schaukelte wie eine Wiege, auf und nieder, hin und her, gegrüßet seist du Maria voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, wieder hoch und wieder tief, es war eine stürmische Nacht, eine gefährliche Fahrt, ich schwitzte, begann zu fiebern, landete in Manila, aber der katzische Vorfahr, der mich am Quai hätte abholen sollen, konnte mich im Gewühl der darmartig verschlungenen Gassen zwischen Pfeffermagazinen Straßenküchen Hurenhäusern nicht finden. Am anderen Morgen, als der Onkel die Läden aufstieß, salve, Nepos, carpe diem!, war der ganze Innenhof mit einem kühlen, nach Brunnadern riechenden Nebel gefüllt. Ich erschrak. Aber nicht über den Onkel, nicht über ein allfälliges Donnerwetter, das blieb auch diesmal aus -ich erschrak, weil es Herbst geworden war. Der Onkel mochte etwas Ähnliches empfinden. Im Fenster blieb er stehen. Der Frühverkehr tönte gedämpft, wie von fern. Nah das Gejammer der Tauben, das Geschnalz fetter Flügel, doch hatte alles einen andern, etwas leiseren, umhüllten Ton.
Wie üblich eilten wir in die Sakristei, schlüpften in die Meßgewänder, schritten zum Altar, der Onkel warf sein Haupt in den Nacken, stemmte den Kelch in die Höhe, ließ die Orgel erschallen, sang dazu, jubelte, dann begab er sich in sein Büro, wo er, erste Zigaretten paffend, das Frühstück des gesunden Menschenverstandes verschlang, die »Ostschweiz«.
Zwar hatte ich einen
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