Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
Vom Netzwerk:
richtete seine Augenknöpfe auf mich und griff, indem er die Winkel der Mundnarbe ein wenig verzog, nach dem Pfeifenkopf. Auf seinen Manschetten, die aus den Kittelärmeln hervorstanden, hatte er mit dem Bleistift ein paar Zahlen notiert, vermutlich die eben getätigten Geschäfte. Das Fräulein sagte, wie erfreut sie sei, den Broger wieder einmal zu treffen, dann sah sie sich um und fragte, wo bei allen Heiligen die Bedienung bleibe.
    Hanni, rief der Wirt, Kundschaft!
    Am ersten Oktober nach dem Rosenkranz-Sonntag, fuhr sie fort, wird er uns verlassen, der Nepos. Er rückt in die Klosterschule ein, acht Jahre Kutte, acht Jahre Latein, da werden sie ihn schon zurechtbiegen, aber da ist ja das Fräulein, rief sie zum Tresen hinüber, für den Studiosus eine Vivi-Kola, für mich einen Likör, und
    wenn du auch etwas willst, Hanni, nimm es dir, du bist eingeladen.
    So, sagte Broger, er ist Student.
    Momentan gehört er noch zur Bibliothek, entgegnete die Stark, und besonders freundlich klang es nicht, für sie war ich ja nach wie vor der kleine Spiegel-Katz, der einer hochverdienten Kulturführerin zwischen die Beine gelinst hatte. Er hockt vor dem Saal, fuhr sie abschätzig fort, und muß verhindern, daß uns eine Stadtmamsell mit ihren Stöckelschuhen das Parkett verkratzt.
    In diesem Augenblick ein Klirren.
    Die Serviertochter!
    Klirrend kam sie, klirrend langsam, mit der linken Hand auf eine Krücke gestützt. Auf der rechten Hand balancierte sie das Tablett, worauf die Getränke zitterten, ein Likör für die Stark, ein weiterer Kaffee-Schnaps für Broger, eine Vivi-Kola für mich und ein Fläschchen Orangina für sie selbst. Hanni hatte blonde Zöpfe, lustige Stirnfransen, vorstehende Zähne, graue Mäuseaugen, und ich wagte es nicht, bis zu den Ohren errötend, auf das Bein zu sehen, das bei jedem Schritt ein Klirren in den Boden stampfte. Mit letzter Kraft konnte sie das Tablett, es ein wenig anhebend, auf den Tisch schieben.
    Kennst du meinen Monsignore, Hanni?
    Sie nickte. Den Katz kennen alle, sagte sie. Ihm gehört die Bibliothek mit den großartigsten Schätzen des Morgen-und Abendlandes, von Aristoteles bis Zyste. Dann schwang sie das steife Bein in einem Bogen unter den Tisch und ließ sich, mit dem linken Arm noch immer in die Krücke gehängt, neben dem Fräulein nieder. Erst jetzt wurde mir klar, weshalb die Altherren darum gestritten hatten, ob die Kinderlähmung eine Gnade sei, die Gott verliehen habe, um mögliche Sünden zu verhindern, insonderheit im Bereich des Sechsten -dabei hatten sie an Hanni gedacht und an ihr lebloses, in Schienen geschnalltes Bein. Indes hatte sie die Krücke auf den Boden gelegt, dem Fräulein den Likör zugeschoben und biß mit ihren Vorderzähnen in den Glasrand. Mein Kopf brannte wie ein Ofen. Sie schielte, während sie in kleinen, nippenden Schlucken ihre Orangina trank, unentwegt nach links, zu mir herüber. Ich trank meine Vivi-Kola und schielte nach rechts, zu ihr hinüber. Gemeinsam tranken wir aus, dann hielten wir das leere Glas mit beiden Händen fest, gerade so, als enthielte es ein kostbares Geheimnis.
    Broger war nun doch gesprächig geworden, wobei sich herausstellte, daß er Schweinehändler war. Er gab Neuigkeiten aus dem Appenzellischen zum besten, kam auf die frischen Toten zu sprechen, auf Verlobungen, Hochzeiten, den Schweinepreis pro Kilo, sagte, welche Manserin mit welchem Manser, welcher Broger mit welcher Brogerin, auch gab es Manserinnen, die sich mit einem Broger, und Brogerinnen, die sich mit einem Manser paarten, und während er so redete und die Stark ihre Kommentare gab, hatte sich unter dem Tisch mein Fuß gehoben und berührte nun, aber behutsam, sehr behutsam!, Hannis Bein. Du lieber Himmel, rief die Stark, das hat er von den Katzen!
    Was denn;, fragte Broger.
    Ich zog den Fuß zurück.
    Na, rief die Stark, wie rasch er sein Glas leert!
    Warum geschah alles im Verborgenen, unter den Röcken, unterm Tisch? Warum zog mich dieses Bein an, nicht sehr, aber doch so, daß sich meines von selbst gehoben hatte; Hannis Bein war gelähmt, sie hatte keine Macht darüber, und sonderbar, eben war mir etwas Ähnliches passiert. Mein Bein hatte sich automatisch bewegt. Allerdings hatte ich nicht das Hanni erreicht -beim Versuch, sich unterm Tisch in ihre Nähe zu recken, mußte mein Bein an die Stark geraten sein.
    Katastrophe? Gellendes Geschrei; Aufschnellen vom Stuhl? Nein, zu meinem grenzenlosen Erstaunen schleckte das Fräulein mit einer großen,

Weitere Kostenlose Bücher