Fraeulein Stark
sagte alles. Ich hatte es geahnt, ich hatte es gewußt, eines Tages wird dir dieser verdammte, verfluchte Katzenschwanz zum Verhängnis. Jetzt war es passiert. Alles aus. Gegen halb drei Uhr nachmittags, als die Flaute einsetzte, pflückte mich das Fräulein aus den Pantoffeln und führte mich am Ohr vor die Tür des Tabulariums. Klopf, sagte sie.
Aber
Dann tu ichs für dich!
Ich klopfte.
Venite!
Und trat ein.
Das Tabulariuum praefecti war ein hohes Gewölbe, eine düstere, nur ihm geweihte Kirche voller Bücher, Bücher an den Wänden, Bücher über der Tür, Bücher am Boden, auf Tischen, über den beiden Fensternischen, aber auch auf dem mächtigen Schreibtisch. Der Stiftsbibliothekar schien zwischen seinen Bücher-und Papierbergen nur aus einem Denkerkopf zu bestehen und schwebte wie ein Planet über seiner Lupe. Ich schluckte. Wartete. Fragte dann leise: Du hast mich bestellt, avunculus meus?
Nach einer Weile schraubte er seinen Füllfederhalter aus der Hülse und machte auf einem gelben, dünnen Streifen eine Notiz. Diese Streifen staken wie Fähnchen in sämtlichen Bänden Folianten Broschüren, manchmal nur ein einziges, meist ein ganzes Bündel. Endlich sagte er: Ja, ich erinnere mich. Nimm bitte Platz.
Danke, Onkel.
Aber auch die Stühle und Sessel waren belegt, da saßen die edelsten Geister des Abendlandes, Aristoteles, Plotin, Hugo Ball, Werner Oechslin, Martin Heidegger, Immanuel Kant, Jacob Taubes, Hans-Rüdiger Schwab, Notker Balbulus, P. Gebhard Müller, Frater Bruno Hitz, der doctor angelicus, ein doctor subtilis, ein doctor mirabilis, lauter gelehrte Häupter Perücken Kronen, mit denen der Onkel, ebenfalls ein doctor subtilis, von gleich zu gleich verkehrte. Ich sah mich hilflos um. Wo durfte ich mich setzen? Sollte ich seine Laute vom Stuhl nehmen oder eine der Heldenbüsten, Wagner Goethe Nietzsche, von einem Bücherstapel entfernen? Aus der Küche Tellergeschepper, später das Läuten der Eingangsglocke, neue Besucher kamen, draußen ging alles seinen Gang. Da entdeckte ich vor einem bücherfreien Wandstreifen eine schmale, plüschrot gepolsterte Betbank und darüber ein Kruzifix.
Sicher, unseren Hilfsbibliothekaren war nicht zu trauen. Die flüchteten aus dem Scriptorium auf den Abort, wo sie ihr Legionärskraut pafften; die hatten keine Augen, nur Brillen, durch die sie eine böse, ihnen feindliche Welt wie durch Luken beglotzten; die rochen schon nachmittags nach Schnaps, und gerade sie, die Ordnung in die Bücher bringen sollten, hatten gegen Abend zunehmend Mühe, ihre langen Arme zu ordnen, die Signaturen zu lesen, die Tasten zu treffen. Aber das bedeutete ja nicht, daß alles, was sie im Scriptorium sagten, erstunken und erlogen war. Ganz und gar nicht. Erst letzthin, als ich mich zum dritten Mal nach einer Schrift über jüdische Einwanderer erkundigt hatte, war mir von den Hilfsbibliothekaren beschieden worden, jeden Nachmittag durchleide Katz das Karfreitagsgeschehen, und zwar hier, auf dieser Betbank, pünktlich um drei. Gelogen? Seine Füße hängen genau über mir, von einem Nagel durchbohrt, wäßriges Blut tropft herab, Finsternis überrollt das Land, und während die römischen Soldaten samt ihren Spießen und Bürstenhelmen hügelabkollern, bäumt sich da oben, in der aufstäubenden Moskitowolke, der wundgestochene Leib vom Holz, will sich mit einem tierischen Schrei aus den Nägeln reißen, sackt zurück, röchelt und verzuckt dann so jämmerlich, daß man unwillkürlich auf die plüschrote Betbank sinkt, die gefalteten Hände unter das Kinn preßt, aufblickt zu den Füßen des toten Jesus und aus tiefster Seele, wie es die Hilfsbibliothekare vom Onkel gehört haben wollen, die Juden verflucht, o ihr Juden, ihr Juden, warum habt ihr das getan!
Ich erhob mich von der Betbank, machte flüchtig das Kreuzzeichen. Wäre es dir lieber, wenn ich später komme?
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Nunu, sagte schließlich der Onkel, das Problem sei delikat, sehr sogar, doch sei er nicht der Mann, der Schwierigkeiten ausweiche, au contraire, im Gegenteil, er pflege den Stier an den Hörnern zu packen, id est, er halte es mit den Lateinern und lasse dem Schlachtruf in medias! ohne jede Schweifung das Wesentliche folgen. Also denn, in medias! Wie ich ja wüßte oder inzwischen gelernt haben dürfte, fuhr er fort, mehr und mehr in den salbungsvollen Ton seiner Führungen verfallend, sei im Anfang das Wort, dann komme die Bibliothek, und so stelle sich selbstredend die Frage, wie aus den Wörtern Dinge
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