Fraeulein Stark
Kater, da sehen alle Menschen grau aus, aber die Phantasiehunde, die mich vor dem Einschlafen gehetzt hatten, waren verschwunden. Nein, so in sich zerspalten, daß sie mich abends herzte und nachts an den Onkel verriet, war nicht einmal das Fräulein Stark. Vielmehr würde auch sie den Herbst fühlen, auch sie hatte ein wenig Angst davor, und tatsächlich, seit unserem »Porter«Besuch verstand man sich wieder, vielleicht etwas gedämpft, nicht frühlingshaft, eher herbstlich, mit umhüllten Gefühlen, aber das dumme Handspiegelchen begann nun doch zu verblassen, verlor im Dunst der kühler werdenden Vormittage seine Bedeutung, und eines Abends, als der Onkel wieder einmal in den »Porter« entwischt war, flogen wir plötzlich aufeinander zu und umarmten uns, bis wir beide zu weinen begannen, halb vor Glück, halb vor Scham. Sie nahm den reuigen Sünder wieder auf, sie hatte mir das Handspiegelchen verziehen.
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Bref, nun war alles in Ordnung, wieder mochten sie mich, und zum ersten Mal seit Wochen mochten mich beide zugleich. Ich hatte zu essen, erst noch gut zu essen, ich gehörte zur Mannschaft, erst noch auf einem bevor-zugten Posten, besser konnte es mir nicht gehen. Nepos,
sagte ich mir, stopf dir den Bauch voll, trink den Trollinger, erquick dich am philosophischen Disput über Augustinus von Hippo und die nicht vorhandene Gegenwart. Sei im reinen mit dir, und du wirst diese letzten drei Wochen, die dir noch bleiben, in späteren Jahren als die schönsten und glücklichsten deines Lebens in Erinnerung behalten.
So sprach ich. Es nützte einen alten Hut. Auf meinen Wangen zeigten sich erste Pickel, und hatte ich vor dem Spiegel an ihnen herumgedrückt, brannten sie am andern Tag mit einem gelben Eiterpunkt. Nein, wohl fühlte ich mich nicht in meiner Haut. Der Nasenzwerg wollte etwas tun, das ihm der Klosterschüler untersagte, und je strenger der Strenge auf dem Verbot bestand, desto heftiger wehrte sich der kleine Katz für seine verbotenen Wünsche. Mit anderen Worten: Aus den beiden Varianten meiner Person waren Feinde geworden, und die verrinnende Zeit schob sie unerbittlich, unbarmherzig aufeinander zu.
Um neun begann mein Dienst, ich heftete den Blick auf den Boden, nur auf ihre Schuhe, aber ach, schon in der Bibel steht geschrieben, es sei schwer, am Zoll zu leben und nicht reich zu werden. Ich lag am Zoll, und sie kamen, kamen in Scharen, hereingetrieben von einem herbstlich kühlen Regen, hoben ihren Kopf, begannen zu leuchten, wurden weich, und ich gebe es ja zu: Kaum standen sie im offenen Portal, von der Pracht des dunstigen Lichts und den haushohen Bücherwänden überwältigt, mußte ich riechen, mußte ich atmen, mußte ich tief und immer tiefer in mich einsaugen, was aus ihren Stoffglocken herabdunstete, herbes Parfüm und süßes Parfüm, arabische Gärten, italienische Sonne, Leder und Sünde, die nächste bitte, die nächste, die nächste, und sosehr mich mein Riechstengel vor dem Spiegel verstörte, hier, am Pantoffelzoll vor der Seelen-Apotheke, wo mich ihre Düfte in schwindelerregende Glückstiefen hinabtauchten, war er mein bestes Stück.
Nein, mein zweitbestes. Am Samstag war ich mit dem Fräulein wieder in die Stadt gegangen, nicht in den »Porter«, nur zum Optiker, und so trug ich an diesem gesegneten Sonntagmorgen zum ersten Mal meine Brille, zwar ein altmodisches, mich entstellendes Gestell, aber siehe da, wirklich ist nicht das Wort, wirklich ist das Fleisch, mein Fleisch und ihr Fleisch, Gerüche und Sachen, und was für Sachen, o du sachfremder Onkel, wirkliche Schlüpferschnallen und wirkliche Nylon-Strümpfe, Fersen, Stöckelschuhe, Unterröcke, Höschen Öschen Döschen, ja, Onkel, alles wirklich, alles zu sehen, klar zu sehen, zum Greifen nah, zum Sterben schön, unter dem Trachtenrock unserer Hochzeitsreisenden zeigt sich mir in grandioser Deutlichkeit der gesteppte Saum eines fleischfarbenen Schlüpfers, kurz danach in ungewohnter Schärfe der Rüschenrand eines Höschens, und dann, kurz vor dem Kaffee, erscheint mir unter dem Jupe einer hoch gestiefelten, schön prallen Nachmittagsschönen ganz oben am schneeweißen Oberschenkel ein seltsames, mich heftig erregendes Ding, das mir das Herz bis zum Halszapfen springen läßt…
Ich war weg. Legte mich in meiner Kammer auf das Bett und küßte, küßte! die beiden Gläser meiner häßlichen, meiner herrlichen Brille.
Der kleine Katz hatte gesiegt. Ich hatte es getan.
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Anderntags war mein Laken abgezogen. Das
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