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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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geworden seien.
    Jawohl, Onkel, sagte ich beflissen, diese Frage stellt sich natürlich.
    Es geht um das Geschlecht.
    Um das Geschlechtliche, korrigierte er sich, aber bleiben wir doch beim Thema, bleiben wir bei den Wörtern, sprich beim Wort. Das Wort, das am Anfang steht, mußte diesen Anfang und damit sich selbst überwinden, sonst wäre es ja nie zur Welt und zu uns gekommen. Daraus schließen wir: Wörter sind etwas Wirkliches, etwas Lebendiges. Sie haben Kraft, sie wollen leben, wirken wollen sie und sich fortzeugen. Deshalb flössen sie vor Urzeiten aus Gott, dem Urwort, ins All hinaus, sammelten sich in Büchern, gelangten in Seelen-Apotheken, wurden dort abgeschrieben und weitergetragen
    und in den Katalogschubladen geordnet, aber die Kraft, sich fortzuzeugen und weiterzuwirken, haben sie behalten, weshalb ihnen die alten Griechen, übrigens das klügste Volk, das es jemals gab, einen treffenden, für dich und deine Altersgenossen höchst bedeutsamen Namen gegeben haben, nämlich logoi spermatikoi, lateinisch rationes seminales, oder auf gut deutsch (er schluckte): Vernunftspermien. Bref: Was raus muß, muß raus, und es versteht sich wohl von selbst, mein Lieber, daß so ein Prozeß, zumal er sich des Nachts wiederholen dürfte, unsere Stark ein wenig überfordert.
    Weibersorgen, erklärte der Onkel. Nicht der Rede wert. Du brauchst dir nichts vorzuwerfen. Das Wort drängt ins Fleisch, das gilt sogar für Gott, der in der blutigen Gestalt seines Sohnes am Kreuz verschieden ist, und ich bekenne gern, daß ich im sternenhaften Ausstreuen der Logoi spermatikoi den eigentlichen Sinn meines Schiffes sehe. Was wir fallen lassen, fällt irgendwo da unten, in der Nunu- und Fleischeswelt, auf fruchtbaren Boden, schlägt vielleicht Wurzeln und trägt dereinst die schönsten Früchte.
    Ich hob die linke Braue. Er auch.
    Haben wir uns verstanden, Nepos? Es ist wohl das beste, wenn du ihr bei Gelegenheit andeutest, dein Onkel hätte in puncto puncti mit
    dir gesprochen.
    In puncto puncti, wiederholte ich verdattert.
    Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich wußte immer, daß du ein kluger Junge bist. Geh nun an die Arbeit, um vier hast du eine Führung, da kann dich ein Hilfsbibliothekar in den Pantoffeln vertreten.
    Warte, rief er plötzlich.
    Ich erstarrte.
    Da wäre noch etwas.
    Fünf Schritte bis zur Tür. Ich hielt den Atem an. Noch ein Wort zum Geschlecht, aber jetzt zum Geschlecht der Katzen?
    Draußen schlurfende Schritte, eine weitere Busladung, er mußte doch wissen, daß ich dringend gebraucht wurde. Langsam drehte ich mich um, machte mich bemerkbar, aber da half kein Räuspern, kein vorsichtiges Fragen -ja, Onkel? Was wolltest du mir sagen, Onkel? -, er war wieder über den Wüstenvater gebeugt und schien unter der flachen Sonne seiner Lupe zu verfolgen, wie sich dieser in den Gassen der Wunderstadt verlief.
    Ich eilte in die Küche und meldete freudestrahlend, alles sei in Ordnung, der Onkel habe in puncto puncti mit mir gesprochen.
    Die Stark sah mich ungläubig an. Was, rief sie, er hat dich tatsächlich aufgeklärt?!
    Ja, Fräulein Stark. Er hat mich tatsächlich aufgeklärt.
    Dann ist es ja gut, sagte sie und ließ den Kessel, in dem sie eben mein beflecktes Laken ausgekocht hatte, mit einem vielsagenden Madonnenlächeln unter dem Spülbecken verschwinden.

44
    Der Sommer kam zurück. Es wurde noch einmal heiß. Brütend heiß. Im Saal mußten die Fenster verhängt werden. Durch die Vorhänge schimmerte orangenes Licht und ließ die Gesichter über den Vitrinen schamhaft erröten. Schlaff rutschten sie vom Mittelalter in den Barock, von der Morgenseite (mit den Schränken DD bis QQJ bis zur Abendseite (CG bis PP). Die Bilder und mit ihnen die Aufseher verloren sich in einer frühzeitigen, schwülen Dämmerung. Das Fräulein blieb in seiner Küche, die nackten Füße im Wasserbecken, und der Onkel, der sich immer wieder mit dem Fingerhaken durch den Römerkragen fuhr, trank mindestens so viel Wasser wie Wein. Alles welk. Alles müde. Alles - außer mir. Mich plagte die Hitze nicht, dieser unerwartet noch einmal aufflammende Sommer schien den Herbst in eine dunstige Ferne zu rücken und kleidete die wenigen Besucherinnen so luftig, so leicht, daß es eine Freude war, ihnen die Sohlen zu reichen. Das Fräulein? Blieb zwar präsent, doch im Hintergrund, offenbar hielt sie das befleckte Laken eher für einen Unfall, nicht für eine Sünde. So was kann passieren, mag sich die Bauerntochter gesagt

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