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Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht mehr darüber reden.«
    »Es ist nichts Ungewöhnliches. Sie hat
sich vor ein paar Monaten scheiden lassen; es dauert eben eine Weile, bis sie
mit der neuen Situation zurechtkommt.«
    Er nickte verständnisvoll. »Sie hat
erzählt, daß ihre zwei kleinen Töchter bei der Großmutter leben. Ich nehme an,
sie wohnt eine Zeitlang bei Ihnen, um erst einmal die Tapeten zu wechseln.«
    »Und um über sich und ihre Zukunft
nachzudenken.«
    »Sie hält sehr viel von Ihnen.«
    »Nun, immerhin sind wir schon fast
unser ganzes Leben lang befreundet.«
    »Und sie scheint von Ihrem Beruf
beeindruckt zu sein.«
    »Das ist nur natürlich. Sie hat in
letzter Zeit notgedrungen viel über einen neuen Job nachgedacht und muß sich
jetzt entscheiden, wie es weitergehen soll.«
    »Würden Sie denn ein Leben als
Privatdetektivin empfehlen?«
    »Nein — zumindest nicht für jemanden,
der Familie hat. Die Arbeitszeiten sind oft lang und immer unregelmäßig, und
der Verdienst ist auch nicht das, was man unter einem gesicherten Einkommen
versteht.«
    »Immerhin scheint es sie zu
faszinieren. Sprechen Sie mit Linnea über Ihre Fälle?«
    Clementes Fragen machten mich unsicher.
»Nein. Da ich im Auftrag einer Anwaltsfirma arbeite, sind die meisten Fälle
vertraulich. Wie wär’s jetzt mit der versprochenen Führung?«
    Er stand auf, machte eine tiefe
Verbeugung und geleitete mich dann zur Tür.
    »Lassen Sie mich ein bißchen über das
Zentrum erzählen und über das, was wir hier tun«, begann er, während wir durch
das ehemalige Pfarrhaus gingen. »Und entschuldigen Sie, wenn es sich anhört,
als wäre ich beim Fremdenverkehrsverein. Wissen Sie, ich führe hier häufig
Freunde und Bekannte, ganz zu schweigen von den Leuten von der Regierung, also
kann es sein, daß meine Erklärungen ein wenig trocken und einstudiert wirken.«
Schon während er diese Entschuldigung vom Stapel ließ, hörte es sich an, als
hätte er sie schon oft und mit denselben Worten an den Mann gebracht.
    »Fangen Sie ruhig an. Ich habe nichts
gegen eine gute, professionelle Lektion einzuwenden.«
    »Fein. Wir gehen hier im Zentrum von
der Überzeugung aus, daß Blinde fast das Gleiche tun können wie Sehende,
vorausgesetzt, sie sind entsprechend geschult. Und das ist das Ziel, das wir
Uns als Betreuer gesetzt haben. Wir helfen den Blinden, so unabhängig wie
möglich zu werden, so daß sie früher oder später zurückkehren können in die
Gesellschaft. Alle Bewohner des Heims sind erst vor relativ kurzer Zeit erblindet,
so daß sie sich an viel Neues gewöhnen müssen. Wir versuchen, es ihnen so
leicht wie möglich zu machen, ohne sie zu bemuttern oder allzu sehr zu
beschützen.«
    »Und Sie glauben, daß Ihnen das
gelingt?«
    »Wir haben bis jetzt bemerkenswert gute
Erfolge zu verzeichnen. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, daß wir nie
mehr als fünfundzwanzig Bewohner im Heim aufnehmen; bei einem Team von zehn
Beratern können wir so jedem von ihnen die volle Aufmerksamkeit widmen.« Er
blieb an der Tür des Pfarrhauses stehen. Draußen wuchsen üppig die roten Wedel
der Flaschenputzerbüsche.
    »Lassen Sie mich erst einmal erklären,
was mich dazu veranlaßte, das Erziehungsprogramm des Zentrums zu ändern«, fuhr
er fort. »Als ich die Stelle des Leiters übernahm, war das Zentrum in einem
ehemaligen Krankenhaus in Haight-Ashbury untergebracht. Das Erziehungsschema
war so einfallslos wie das unserer alten Grundschulen. Es gab starre Regeln,
ein sehr begrenztes Schulungsprogramm, und es gab Klingelzeichen, die den
Bewohnern befahlen, wann sie aufstehen, essen oder zu Bett gehen mußten.«
    »Und das ist alles geändert worden?«
    »O ja, das ist jetzt völlig anders.«
    »Wann haben Sie diese Veränderungen
durchgeführt?«
    »Vor zwei Jahren, als Folge von dem,
was man eine Erleuchtung durch Verdunkelung nennen könnte.« Clemente kicherte,
doch selbst das klang nach Routine. »Sehen Sie, eines Nachts gab es einen
Stromausfall, der natürlich auch die elektrisch betätigten Klingeln lahmlegte.
Und als unsere Mitarbeiter am nächsten Morgen hier eintrafen, stellten sie
fest, daß einige der Bewohner die ganze Nacht auf ihren Stühlen ausgeharrt
hatten, weil ihnen die Klingeln nicht befohlen hatten, zu Bett zu gehen.«
    »Du meine Güte!«
    »Sie können sich mein Entsetzen
vorstellen. Wir hatten den Menschen jegliche Initiative genommen, während wir
ihnen doch eigentlich helfen wollten. Also machte ich mich daran, das
Schulungsprogramm auf der Stelle

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