Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frag die Karten

Frag die Karten

Titel: Frag die Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
Lagerraum
und hatte eine Einkaufstüte in der Hand. Sie war vollgestopft mit
Schnürsenkeln, Gummihandschuhen, Schwämmen und Holzlöffeln. Der Bürstenmann
hatte offenbar seinen Handel in beträchtlichem Umfang erweitert. Ich fragte
mich, wie er das erklären würde, falls er jetzt zufällig Clemente begegnete.
    Mit seinem Blindenstock tastete sich
Sebastian geschickt auf die Seitentür zu. Ich rührte mich nicht, bis sie ins
Schloß gefallen war. Dann lief ich hinauf, öffnete die Tür einen Spalt und
schaute nach draußen. Sebastian überquerte den Rasen und ging auf das Pfarrhaus
zu. Aber statt es zu betreten, schlich er seitlich vorbei und drückte sich in
das Flaschenputzergebüsch. Schließlich blieb er stehen und neigte lauschend den
Kopf. Ich beobachtete ihn und fühlte mich sicher im Schatten hinter der Tür zur
Kellertreppe.
    Jetzt stand Sebastian unter Clementes
Bürofenster. Er stellte seine Einkaufstüte ab und bückte sich, um sie unter
einem Busch zu verstecken. Danach kroch er geduckt vorwärts, tastete dabei mit
dem weißen Stock vor sich her und verbarg sich im Gebüsch unter dem Fenster.
Die Büsche raschelten, dann war alles still.
    Clemente hatte erwähnt, daß das
Tastgefühl der Blinden höher entwickelt war als bei den Sehenden, und ich
erinnerte mich, davon gelesen zu haben, daß das auch für ihr Gehör galt.
Sebastians scharfe Ohren hatten offenbar ein interessantes Gespräch in
Clementes Büro wahrgenommen, ein Gespräch, das aufschlußreich genug war, daß es
sich lohnte, zum Lauschen in ein Gebüsch zu kriechen. Na schön, dachte ich — dieses
Spiel konnte man auch zu zweit versuchen.
    Ich lief rasch über den Rasen und kroch
unter das Gebüsch am entgegengesetzten Ende des Fensters, wobei ich mich so
geräuschlos wie möglich bewegte. Die Blätter raschelten, und Sebastian fuhr
zusammen. Ich duckte mich und hielt den Atem an. Nach ein paar Sekunden schien
sich der Bürstenmann zu beruhigen.
    Clementes Stimme drang aus dem
Pfarrhaus. »... beruhige dich doch, Jeff, und erzähle mir noch einmal genau,
was sie gesagt hat.«
    »Sie sagt, sie hätte Beweise, das ist
es!« Nevermans Stimme klang aufgeregt und war eine Oktave höher als normal.
    »Aber was denn für Beweise?« fragte
Clemente ruhig.
    »Woher soll ich das wissen? Sie wollte
es mir nicht sagen. Sie sagte nur, daß sie Beweise hätten, und wenn ich nicht
zu ihr zurückkäme und bei ihr wohnte, würde sie alles der Polizei mitteilen.
Ich bin sicher, daß sie es tun wird.«
    »Du scheinst an Verfolgungswahn zu
leiden, Jeff. Beruhige dich erst mal und setz dich hin. Du gehst jetzt schon
seit zehn Minuten auf und ab. Es nützt nichts...« Das Klingeln des Telefons
unterbrach ihn. »Herb Clemente.«
    In der kurzen Stille, die danach
folgte, stieß Neverman einen unverständlichen Fluch aus. Dann vernahm ich einen
dumpfen Schlag, als hätte er die Faust gegen Holz geschlagen.
    »Moment, sprich ein bißchen langsamer«,
sagte Clemente ins Telefon. »Wer hat dir was angetan?«
    Eine Pause.
    »Nein, warte. Leg nicht auf. Natürlich
mache ich mir Sorgen.«
    Nach ein paar Sekunden wurde der Hörer
auf die Gabel geknallt.
    »Heute scheine ich es nur mit
hysterischen Leuten zu tun zu haben«, murmelte Clemente.
    »Was?« fragte Neverman beunruhigt.
    »Das war ein Mädchen, das ich gestern
abend kennengelernt habe. Sie heult und redet so schnell, und ich verstehe kein
Wort von dem, was sie sagt. Also beschimpft sie mich, weil ich mich angeblich
nicht um sie kümmere, und legt dann einfach auf.«
    O mein Gott! dachte ich. Es ist also
wieder schlimmer geworden mit ihr.
    »Offenbar ein reizendes Mädchen«, sagte
Neverman.
    »Sie ist nicht dumm und vermutlich ein
nettes kleines Abenteuer. Aber wenn sie so labil ist, sollte ich sie lieber
vergessen.«
    Mich überlief eine Welle des Zorns über
die Art und Weise, wie er von meiner Freundin sprach, und ich verlor eine
Zeitlang den Faden des Gesprächs. Sicher, ich konnte es Clemente nicht
verdenken, daß er keine Lust verspürte, sich um Linneas hysterische Anfälle zu
kümmern, aber andererseits wollte ich auch nicht, daß er ihr wehtat.
    Jetzt fragte Clemente: »Wieviel Zeit
hat dir Anya für deine Entscheidung gegeben?«
    »Sie sagte, ich sollte gefälligst heute
abend mit Sack und Pack bei ihr erscheinen, sonst würde sie morgen früh zur
Polizei gehen.« Er legte eine Pause sein. »Ob man sie mit Geld zum Schweigen
bringen kann?« Nevermans Stimme klang jetzt ein wenig hoffnungsvoller.
    »Das

Weitere Kostenlose Bücher