Frag die Karten
zu ändern. Vor allem ging es zunächst darum,
die Krankenhausatmosphäre zu verbannen. Zum Glück für uns war in Sankt Lukas
damals dieses Feuer ausgebrochen, und angesichts der sinkenden Zahl von Nonnen
und des schlechten Zustands der Gebäude hatte man sich entschlossen, das
Kloster nicht mehr aufzubauen. Also zogen wir hierher.«
Es war eine nicht alltägliche
Geschichte, aber durch Clementes Vortrag verlor sie jeglichen Glanz. Ich
fühlte, daß der Direktor nicht mehr sonderlich begeistert war von seiner
eigenen Arbeit.
»Was haben Sie getan, bevor Sie die
Leitung übernahmen?« fragte ich ihn.
»Ich arbeitete mit Sträflingen.«
»Was haben Sie dabei getan?«
»Anfangs war ich der Leiter einer
halboffenen Anstalt. Doch die wurde bald geschlossen. Die öffentlichen Mittel
waren gestrichen worden. Die meisten meiner Schützlinge sitzen inzwischen
wieder hinter Gitter. Danach habe ich ein Programm zur Resozialisierung der auf
Bewährung Entlassenen ausgearbeitet.« Er preßte die Lippen zusammen, angesichts
einer bitteren Erfahrung, die er dabei gemacht haben mußte. »Als auch dieser
Institution der Etat gestrichen wurde, hat einer meiner vielversprechenden
Schützlinge sich selbst, seine Frau und seine beiden Kinder erschossen.«
»Oh, das tut mir leid.« Ich hatte schon
öfters die Bekanntschaft von Sozialhelfern wie Clemente gemacht und erlebt, wie
ehemalige Liberale durch das System zu Zynikern geworden waren.
»Man tut, was man kann.« Er öffnete die
Tür des Klostergebäudes, und wir betraten eine Vorhalle, die der im Pfarrhaus
ähnlich war. Gänge führten zu Zimmern auf beiden Seiten des Gebäudes, und
direkt gegenüber der Tür wand sich eine schön geschwungene Wendeltreppe nach
oben.
Clemente wies nach links. »Dort ist der
Speisesaal. Er ist der Mittelpunkt des sozialen Lebens im Zentrum.«
In dem großen Raum standen
weißgedeckte, kleinere Tische mit Besteck und Gläsern für das Abendessen
hergerichtet.
»Wir haben versucht, eine gemütliche
Atmosphäre zu schaffen, mit kleinen Tischchen und einer Bedienung, wie sie in
der Familie üblich ist«, erklärte Clemente. »Unsere Leute lernen wieder, sich
im Umgang mit anderen normal zu verhalten. Das Gefühl, ein Ausgestoßener zu
sein — oder in manchen Fällen der Abscheu und. Haß gegen den eigenen Zustand — ,
kann gemildert werden, wenn diese Menschen Freundschaft schließen mit
Leidensgenossen, die im selben Boot sitzen.«
Er wandte sich dem anderen Korridor zu.
»Dieser Saal wird ein Aufenthaltsraum werden, sobald wir das Dach der
ehemaligen Kirche repariert haben. Momentan befindet sich hier unsere
Werkstatt, in der wir die Bürsten herstellen. Sobald das Dach fertig ist,
ziehen wir damit in den Kirchensaal um.«
Der Raum enthielt acht oder zehn
Werkbänke: Tischplatten, die auf Sägeböcken montiert waren. Auf Hockern vor den
Werkbänken saßen Männer und Frauen aller Altersgruppen und Rassen. Sie
schnitten, banden und befestigten Bürsten in verschiedenen Stadien der
Herstellung. Wenn ich nicht gewußt hätte, daß sie alle blind waren, hätte ich
es nicht bemerkt — so präzise und sicher waren ihre Bewegungen.
»Blinde sind hervorragend für diese
Arbeit geeignet«, erläuterte Clemente weiter. »Ihr Tastgefühl ist
hochentwickelt. Wir beziehen das Grundmaterial sehr billig aufgrund eines
Sondervertrags, der vom Staat mit den Lieferanten vereinbart wurde. Jeder
Bewohner des Zentrums arbeitet drei Stunden am Tag hier in der Werkstatt, die
übrige Zeit widmet er sich der allgemeinen Schulung.«
»Und wo stellen Sie die anderen Sachen
her?«
»Welche anderen Sachen meinen Sie?«
»Zum Beispiel die Schnürsenkel und die
Gummihandschuhe, die Sebastian ausliefert. Hat die auch der Staat mit
Sonderverträgen geliefert?«
Clemente blickte nachdenklich auf den
Mann, der nahe der Tür saß und arbeitete. Dann ging er einen Schritt auf ihn zu
und schaute ihm über die Schulter. »Gute Arbeit, Paul.« Er klopfte ihm
anerkennend auf den Arm und wandte sich dann wieder mir zu. »Sebastian liefert
also wieder mal andere Sachen aus, wie?«
»Sollte er das nicht tun? Tut mir leid —
ich wollte ihn nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Ach, es ist nicht so schlimm — ich
habe nichts dagegen. Er weiß, daß es vor allem darauf ankommt, die Regale
gefüllt zu halten. Es ist mir egal, was er sonst noch verkauft — vorausgesetzt,
die Bürsten werden ausgeliefert. Mit den Erträgen halten wir uns hier
finanziell über Wasser, da unsere
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