Frag die Karten
Stiftungsgelder nie ganz die Ausgaben
decken.« Dennoch schien mir Clemente irgendwie aus der Fassung geraten zu sein.
»Und dann kommt die neue Ware endlich
auch auf stabile Regale?« fragte ich.
»Sobald wir solche bekommen haben, in
denen sie ordentlich und gefällig dargeboten werden können. Sebastian kann es
kaum noch erwarten — in ihm steckt echter Unternehmergeist.«
»Ich interessiere mich für diesen
Sebastian. Und ich hätte gern mehr über seine Geschichte erfahren.«
Clemente warf einen Blick auf die
Treppe. »Die muß er Ihnen selbst erzählen, wenn er dazu bereit ist. Ich kann
Ihnen nur soviel sagen, daß er bei uns ist, seit ich Leiter dieses Heims bin.
Sebastian ist einer unserer geschicktesten und eifrigsten Mitarbeiter.«
»Wissen Sie, auf welche Weise er
erblindet ist? Es geschah bei einer Explosion, nicht wahr?«
»Ich erinnere mich nicht mehr genau an
seinen Fall«, erwiderte Clemente knapp. »Wir haben hier ständig fünfundvierzig
Menschen. Ich glaube, es war eine Explosion bei einer Erdölraffinerie, aber ich
könnte es nicht beschwören.«
»Ja, das hat man mir angedeutet.« Ich
folgte Clemente nach oben und durch den Korridor, dann gingen wir in den
zweiten Stock, wo sich die zellenartigen Räume kaum verändert zu haben schienen
seit den Tagen, als die Nonnen dort knieten und beteten. Das ehemalige Kloster
roch muffig in der Nachmittagshitze, und ich war froh, als wir wieder draußen
ankamen, nach einem kurzen Besuch der Küche, wo rostfreier Stahl und weiße
Kacheln schimmerten und glänzten. v
Der Direktor begleitete mich zum Tor an
der 24. Straße, sprach über die Möglichkeiten, die in seinem Programm lagen,
und bat mich, Linnea von ihm zu grüßen. »Ich rufe sie an, dann gehen wir zum
Essen. Vielleicht möchten Sie auch mitkommen, in Begleitung eines Freundes oder
Bekannten?«
»Ja, vielleicht.« Ich dachte flüchtig
an Greg und fragte mich, wie er und Clemente miteinander auskommen würden. Dann
dankte ich Herb Clemente für die Besichtigungstour und ging auf meinen Wagen
zu. Als der Direktor verschwunden war, schlich ich mich jedoch wieder durch das
Tor auf das Gelände des Blindenzentrums. Clemente hatte die Kirche aus seinem
Führungsprogramm ausgespart, und ich wollte sie noch einmal bei Tageslicht in
Augenschein nehmen.
Kapitel
12
Die Kirchentür war verschlossen. Ich
ging über den Plattenweg zum Seiteneingang. Plötzlich öffnete sich die Tür. Ich
duckte mich hinter einen Flaschenputzerbusch.
Neverman kam heraus, und er schien es
eilig zu haben. Er lief über den Rasen zum Pfarrhaus, trat ein und schloß die
Tür. Ich wartete eine Minute, bevor ich aus meinem Versteck heraustrat.
Unten in den Kellerräumen war es kalt,
und es roch nach Trockenfäule, was mir in der Nacht zuvor nicht aufgefallen
war. Ich ging durch den niedrigen Korridor und schaute in die einzelnen Räume,
die hinter den Türen lagen. Es waren Lagerräume mit dem Rohmaterial für die
Bürsten: Holzbrettchen und Plastikplatten mit Löchern, Drahtrollen, Stroh und
Nylonborsten. Im letzten Raum, der am nächsten der Treppe zum Vorraum der
Kirche lag, befanden sich Pappkartons. Ich schaute in einen offenen Karton, der
in der Nähe der Tür stand. Schnürsenkel wie die, welche mir Sebastian gezeigt
hatte.
Dabei erinnerte ich mich, wie sehr
Clemente aus der Fassung geraten war, als ich ihm mitteilte, daß Sebastian auch
damit handelte. War es möglich, daß Sebastian den Handel mit den anderen Waren
ohne Erlaubnis von Clemente betrieb und das Geld dafür in die eigene Tasche
steckte? Mir kam es nicht sehr wahrscheinlich vor, aber ich kannte den
Bürstenmann nicht gut genug, um es wirklich beurteilen zu können.
Jetzt ging ich nach oben. Die Wände des
Vorraums der Kirche wiesen Wasserflecken auf, und der Verputz blätterte
großflächig ab. Im Inneren der Kirche war es ähnlich. Das Gestühl in der Nähe
der Öffnung im Dach befand sich in schlechtem Zustand, der Parkettboden wölbte
sich. Ich blieb stehen, beeindruckt vom Kaleidoskopmuster der runden
Buntglasfenster über dem Altar.
Warum hatte Clemente nichts gegen den
Verfall der Kirche unternommen? Und es bedurfte sicher größerer handwerklicher
Fähigkeiten als derer, über die Neverman verfügte, um die hier entstandenen
Schäden zu reparieren. Noch einmal schaute ich mich um, dann ging ich zurück in
den Keller. Als ich auf dem Treppenabsatz stand, vernahm ich ein Geräusch und
erstarrte.
Sebastian kam aus dem ersten
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