Frag die Karten
Ich zerknüllte den Zettel und warf ihn zu dem
anderen in den Papierkorb, dann ging ich zur Tür.
Kapitel
11
Mr. Moe und Jeffrey Neverman standen
auf dem Gehsteig vor dem Albatroß-Lebensmittelladen unter dem Schild, das ihnen
der Vertreter von Seven-Up zur Verfügung gestellt hatte. Ein blauer Kastenwagen
mit der Aufschrift des Sunrise-Blindenzentrums parkte am Randstein. Neverman
schien etwas auszuliefern, was Sebastian und Gus nicht schleppen konnten.
Ich lenkte meinen MG zur Bushaltestelle
auf der anderen Straßenseite und blieb dort stehen, wobei ich über den Kontrast
zwischen den zwei Männern lächeln mußte. Mr. Moe war ordentlich wie nur möglich
in seiner langen, weißen Schürze, hatte das Haar sorgfältig nach hinten
frisiert und mit Pomade geglättet, und seine braune Hose wies eine makellose
Bügelfalte auf. Neverman dagegen trug eine ausgebleichte Levis und ein
Arbeitshemd, dessen zerfranste Schöße aus der Hose hingen. Sein graumeliertes
Haar erwies sich bei Tageslicht als schütterer als gestern abend in der dunklen
Kirche.
Der Lastwagen eines Weinlieferanten
fuhr vor. Der Fahrer sprang heraus und begann Kisten auf den Gehsteig
auszuladen. Mr. Moe wechselte ein paar Worte mit ihm, dann betraten er und Mr.
Neverman den Laden.
Der frühe Nachmittag schien kein
günstiger Zeitpunkt zu sein, um mich privat mit unserem Lebensmittelhändler zu
unterhalten. Während ich darüber nachdachte, wurde ich von der Hupe eines
Omnibusses aufgeschreckt, der hinter mir halten wollte, und entschloß mich,
noch einmal nach Sebastian zu suchen. Wenn er sich nicht im Zentrum aufhielt,
konnte ich immer noch Clemente bitten, mich wie versprochen durch das Heim zu
führen.
Aber als ich dort ankam, wurde mir
bewußt, daß es Clemente vermutlich nicht recht war, wenn ich in seinem Bereich
ohne Erlaubnis herumschnüffelte. Daher schien’ es mir geraten, auf jeden Fall
erst mit ihm Kontakt aufzunehmen. Die Tür des Pfarrhauses — ein langes,
niedriges Gebäude im gleichen Stil wie die Kirche — stand offen, und ich betrat
eine Vorhalle, auf deren Boden Keramikfliesen schimmerten, entschied mich für
eine der drei Türen, die sich dort befanden, und klopfte an. Clementes Stimme
forderte mich auf, einzutreten.
Der Raum war mit Parkett ausgelegt, und
die leuchtend bunten südamerikanischen Teppiche, die Linnea erwähnt hatte,
hingen an den Ziegelwänden. Der Direktor des Blindenzentrums, saß an einem
Schreibtisch in der Mitte des Raums und streckte ein Bein nach der Seite aus.
Er aß einen Becher Joghurt und machte eine Geste mit dem Löffel, während er
aufschaute und mich erblickte.
»Sharon! Sie sind hier, um sich das
Blindenzentrum zeigen zu lassen!«
»Ich habe den Nachmittag frei, also
dachte ich, es wäre eine gute Gelegenheit, Ihre Einladung anzunehmen«,
antwortete ich und hoffte insgeheim, daß ich bei der Führung Sebastian treffen
würde.
»Großartig. Bitte, setzen Sie sich
doch. Ich bin gerade bei einem bescheidenen Mittagessen.« Er deutete auf einen
Korbsessel neben dem Schreibtisch.
»Mögen Sie das?« fragte ich und nickte
in Richtung auf den Joghurtbecher.
»Damit gelingt es mir, mein Gewicht zu
kontrollieren.« Er schlug sich auf den leichten Bauchansatz. »Hören Sie, Ihre
Freundin Linnea ist aber sehr nett.«
»Ich bin sicher, die Sympathie beruht
auf Gegenseitigkeit. Linnea hat mir schon von Ihrem schönen Büro erzählt.«
Er lächelte gewinnend. »Mir gefällt’s,
obwohl es ein bißchen seltsam ist, wenn man in einem Haus wohnt, das eigentlich
für Geistliche bestimmt war. Aber ich bin sicher, mir geht es hier besser als
den Pfarrherren, die hier gewohnt haben.«
»Das kann ich mir vorstellen«,
antwortete ich und mußte an das Wasserbett denken.
Clemente löffelte seinen Joghurt, dann
warf er den halbleeren Becher in den Papierkorb. »Wirklich kein besonders
schmackhafter Lunch. Ich hätte Linnea zum Essen einladen sollen, in ein
mexikanisches Restaurant — was ich ohnehin vorhabe, sobald ich ein bißchen Zeit
finde. Sie meint zwar, das mexikanische Essen in San Diego ist unschlagbar,
aber ich habe hier ein nettes kleines Restaurant entdeckt...« Jetzt wirkte er
plötzlich ernst. »Sie sind schon lange mit Linnea befreundet, nicht wahr?«
»Seit der Schulzeit.«
»Dann wissen Sie vermutlich genau über
sie Bescheid. Gestern abend hat sie etwas von einer Wahrsagerin erzählt, die
sie aufgesucht hat, weil sie nichts unversucht lassen wolle. Aber später wollte
sie
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