Frag die Toten
Melissa mit zu sich nach Hause, versuchte, sie zum Essen zu bewegen. »Alles wird gut«, sagte er. »Wir schaffen das schon. Ganz bestimmt, ich versprech’s dir. Aber du musst etwas essen. Du musst auf dich aufpassen. Du musst an das Baby denken. Du wirst dieses Kind bekommen, du wirst dich darum kümmern, und alles wird gut.«
Sie saß am Küchentisch und sah aus, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen. »O Daddy …«
»Vertrau mir«, sagte er. »Alles wird sich zum Besten wenden.«
»Wie kannst du das sagen?«, fragte Melissa, die Augen rot vom Weinen.
»Es muss einfach«, antwortete er.
Melissa blieb über Nacht in ihrem Elternhaus. Doch um sechs Uhr morgens ging sie zu ihrem Vater ins Schlafzimmer und sagte, sie wolle zurück in ihre Wohnung am anderen Ende der Stadt. Garfield lag zwar noch im Bett, doch er war wach. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Er wollte sie nicht gehen lassen, sie nicht sich selbst überlassen, doch Melissa versicherte ihm, sie käme zurecht. Sie hatte nicht vor, in ihrer Wohnung zu bleiben. Sie würde wiederkommen und in ihrem alten Zimmer schlafen, doch sie brauchte ein paar Sachen, Klamotten hauptsächlich, und wollte eine Weile für sich sein. Melissa teilte sich die Wohnung mit ihrer Freundin Olivia, die jedoch gerade zu Besuch bei ihren Eltern in Denver war. Olivia hatte keine Ahnung, dass Melissas Mutter verschwunden war.
Zögernd sagte Garfield: »Du wirst doch keine Dummheiten machen? Ich meine, in der Verfassung, in der du im Moment bist.«
Sie verneinte.
Also fuhr er seine Tochter zu ihrer Wohnung, die sich im Obergeschoss eines alten Hauses befand und einen eigenen Zugang hatte. Er parkte direkt vor dem Haus und sagte: »Weißt du was? Ich warte hier auf dich. Du packst zusammen, was du brauchst, und ich nehm dich gleich wieder mit.«
Melissa sagte, er solle nach Hause fahren. Sie würde ihn anrufen, wenn sie abgeholt werden wollte.
Sie war zwar erst neunzehn, wohnte aber schon seit drei Jahren nicht mehr bei ihren Eltern. Jetzt, wo sie bald zwanzig wurde, war sie bereit einzugestehen, dass sie eine schwierige Jugendliche gewesen war. Und schon davor hatten ihre Eltern es nicht leicht mit ihr gehabt. Mit elf hatte sie ihren ersten Rausch gehabt, mit dreizehn ihre Jungfräulichkeit verloren und mit vierzehn in ihrer Dummheit Marihuana in ihrem Zimmer herumliegen lassen, so dass ihre Mutter es finden musste. Die Grenzen, die ihre Eltern ihr setzten, bedeuteten ihr nichts. Ausgehverbote waren dazu da, sich über sie hinwegzusetzen. Hausarreste waren witzlos, wenn man ein Fenster öffnen konnte.
Mit sechzehn schmiss sie die Schule. Ellie und Wendell waren am Ende ihrer Kräfte. Sie stellten ihr ein Ultimatum. Lern etwas und halt dich an die Regeln in diesem Haus oder zieh aus.
Die zweite Möglichkeit war mehr nach Melissas Geschmack.
Sie zog mit einer Schulfreundin zusammen. Olivia war zwei Jahre älter und eigentlich auch zu jung, um auf eigenen Füßen zu stehen, doch wenn man einen Vater hatte, der gern nachts zu einem ins Bett stieg, und eine Mutter, die die Augen verschloss vor dem, was vor ihrer Nase passierte, dann hatte man keine große Wahl. Man konnte bleiben und sich mit seinem Schicksal abfinden, dem Schwein mit einer Bratpfanne den Garaus machen oder das Weite suchen. Sie suchte das Weite. Doch so schwierig ihre Situation zu Hause auch gewesen war, Olivia war gut in der Schule, nahm keine Drogen und hatte einen Teilzeitjob als Kellnerin. Sie stellte Melissa dem Geschäftsführer vor, der sie für drei Abende die Woche einstellte. Es erwies sich, dass der Rauswurf von zu Hause das Beste war, was Melissa hatte passieren können. Sie bewunderte Olivia und nahm sie sich zum Vorbild. Melissa kriegte ihr Leben wieder auf die Reihe. Jetzt, wo keine Eltern mehr da waren, um sie aufzufangen, strauchelte sie auch nicht mehr so oft.
Sie lernte Verantwortungsbewusstsein. Wer hätte das gedacht?
Ellie und Wendell waren vorsichtig optimistisch. Wenn Melissa sich wieder gefangen hatte, dachten sie, konnte sie ja auch ihren Schulabschluss nachholen. Und es vielleicht sogar aufs College schaffen, wenn sie sich anstrengte, überlegte Ellie eines Abends laut. Vielleicht würde sie sogar Tierärztin werden wollen. Erinnerst du dich?, sagte sie zu ihrem Mann. Als sie klein war, wollte sie doch später mal was mit Tieren machen und –
»Herrgott noch mal, Ellie, bleib auf dem Teppich«, sagte Wendell.
Manchmal kam Melissa zum Abendessen. Manche dieser
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