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Frag die Toten

Frag die Toten

Titel: Frag die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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ihren Kleidern getropft wäre, da waren bestimmt keine Spuren mehr zu finden.
    Sie ging wieder hinein, nahm die Geldbörse, die sie neben das Waschbecken gelegt hatte, und wischte sie mit feuchten Papiertüchern ab. Zog Führerschein und Sozialversicherungskarte heraus. Alles sauber.
    Keisha lehnte sich an die Waschtischplatte, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Allmählich spürte sie eine gewisse Erleichterung. Sie war fertig. Wenn Kirk tat, was er sollte, war alles gut.
    Zeit, was zu trinken.
    Als sie in die Küche kam, klingelte das Telefon. Normalerweise nichts, was sie erschreckte. Aber diesmal rutschte ihr beim ersten Ton fast das Herz in die Hose. Sie sah auf die Nummer, doch da stand ›unbekannt‹.
    Keiner weiß was. Keiner weiß, was passiert ist. Jetzt jedenfalls noch nicht.
    Keisha hob ab. »Hallo?«
    »Ah, hey, Keisha? Ich bin’s, Chad, und –«
    Der Besitzer des Naturkostladens in Bridgeport, der jedes Mal ihren Rat suchte, wenn er einen neuen Mann kennenlernte. »Chad, ich hab heute keine Zeit.«
    »Aber ich hab da diesen Typ kennengelernt, er ist in den Laden gekommen, und ich glaube, es hat gefunkt, und ich weiß sein Geburtsdatum, aber ich bin nicht sicher, ob wir zusammenpassen, weil ich doch Jungfrau bin und –«
    »Heute nicht«, sagte Keisha und legte auf.
    Sie öffnete die Kühlschranktür. Sie brauchte etwas Starkes, doch außer Kirks Budweiserflaschen war da nichts drin. Dann musste sie eben damit vorliebnehmen. Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, öffnete die Flasche und tat einen tiefen Zug.
    Nie wieder,
sagte sie sich.
Nie wieder.
    Leider hatte Keisha keine Ahnung, für welche Branche sie sonst geeignet war. Verkauf? In einem Kaufhaus? Leute begrüßen, wenn sie ins Kaufhaus hereinkamen? Musste man dafür nicht mindestens hundert sein? Ja, manchmal hatte sie sich als Putzfrau betätigt, aber auch das war für Keisha Ceylon keine ganz ehrliche Arbeit. Sie konnte es sich oft nicht verkneifen, in Kommodenschubladen nachzusehen, ob ganz hinten nicht vielleicht etwas von Wert versteckt war, das sie sich aneignen konnte. Etwas, dessen Verschwinden die Besitzer erst viel später bemerken würden, wenn sie sich schon nicht mehr erinnerten, wann sie es zuletzt gesehen hatten.
    In solchen Momenten hätte sie die Schuld für alles gern ihrer toten Mutter in die Schuhe geschoben, doch im Grunde ihres Herzens wusste Keisha, dass sie jetzt erwachsen und somit selbst verantwortlich war für die Entscheidungen, die sie traf. Die guten, wie zum Beispiel, Matthew zu behalten und ihr Bestes für ihn zu geben, auch wenn sein Vater sich nicht um ihn scherte. Und die schlechten, wie zum Beispiel, sich von Kirk den Kopf verdrehen zu lassen, für die sie jetzt die Konsequenzen tragen musste. Aber, Herrgott, ihre Mutter war wirklich eine Kanaille gewesen, und Keisha fühlte sich berechtigt, ihr zumindest einen Teil der Schuld zu geben.
    Das Leben, das sie geführt hatten. Immer unterwegs. Von einer Stadt zur nächsten. Marjorie suchte in den Lokalblättern gezielt nach den Todesanzeigen, um Männer zu finden, die gerade erst ihre Ehefrauen verloren hatten, und tauchte dann ganz zufällig bei ihnen auf, um ihre Dienste als Haushälterin anzubieten. Allerdings nicht, ohne sich vorher die Lippen anzumalen, das Haar offen auf die Schultern fallen zu lassen und den obersten Blusenknopf zu öffnen. »Ihre Frau ist gerade gestorben?«, sagte sie dann mit einem Hauch von Alabama in ihrer Stimme. »Ich hatte ja keine Ahnung. Dass ich Sie ausgerechnet jetzt belästige … Ich suche nämlich Arbeit, um mich und meine Tochter hier zu ernähren, aber ich will Sie nicht länger stören – wie bitte? Also, ich muss zugeben, ein Glas Limonade käme mir jetzt gerade recht.«
    Marjorie schlich sich in Herz und Vertrauen einsamer Männer. Bis sie sich schließlich auch Zugang zu deren Bankkonto verschafft hatte.
    Dann ging es weiter in die nächste Stadt.
    »Können wir nicht mal eine Zeitlang wo bleiben?«, fragte Keisha immer wieder. »Damit ich zur Schule gehen und Freunde finden kann?«
    Am längsten blieben sie in einem Wohnheim in Middlebury, in dem ihre Mutter eine Stelle als Leiterin ergatterte. Fast alle Bewohner waren alt, alleinstehend und kamen mit ihrer Rente, von der sie auch noch die Miete zahlen mussten, gerade so über die Runden. Marjorie wollte eigentlich schon kündigen – die Besitzerin, die sich in Florida ein schönes Leben machte, zahlte ihr nicht genug –, doch dann starb ein Bewohner nachts im

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