Fragmente des Wahns
sich nicht erinnern und das, obwohl er nur ein Schädel-Hirn-Trauma hatte. Es hätte niemals zu einem Gedächtnisverlust kommen dürfen. Soviel wusste er nun.
„Schatz! Kommst du dann?!“
Es war Lisa, die ihm aus dem Erdgeschoss zurief. Vermutlich war das Frühstück fertig. Doch Alex wollte nicht nach unten. Er wollte nicht an den Esstisch und mit seiner Familie essen, als wäre alles normal. Denn das war es nicht !
„Komme gleich!“
Nur hatte er keine Wahl. Fürs Erste musste er sich seinem Schicksal beugen. Er würde Lilli nicht im Stich lassen. Sie war sein Ein und Alles und auch Lisa hatte es nicht verdient, wie Luft behandelt zu werden. Sie war seine große Liebe. Er durfte sie nicht verlieren.
Nachdem sich Alex das Duschgel vom Körper gewaschen hatte, drehte er das Wasser ab und entschwand aus dem schützenden Kokon, der eigentlich nur eine Dusche war. Während er sich abtrocknete, dachte er weiter über die Ereignisse der letzten Tage nach und wie verrückt alles geworden war. Er konnte sich einfach keinen Reim daraus machen und es nagte wie ein Parasit an ihm.
Alex entschied sich anschließend für weiße Boxershorts, eine dunkelblaue Jogginghose und ein weißes, einfaches T-Shirt mit V-Ausschnitt. Seine kurzen Haare ließ er von der Luft trocknen.
Er fühlte sich zwar immer noch nicht bereit, aber es half alles nichts. Er musste sich seinen Ängsten stellen, um sie besiegen zu können. Sein altes, normales Leben wartete auf ihn … irgendwo.
Seine Familie saß bereits am Esstisch, als Alex die Küche betrat. Es war Sonntag, da gab es fast immer frische, selbstgemachte Waffeln, so wie auch heute. Es war eines ihrer Rituale, die er liebte und niemals mehr missen wollte.
Doch heute fühlte es sich falsch an. Zum ersten Mal in seinem Leben. Alex hasste es. Warum nur war plötzlich alles anders? Warum hatte sich sein Leben verändern müssen? Und dann noch in diese Richtung?
Alex wollte schreien. Er wollte alles rauslassen, sich ausheulen und jeden beschuldigen, nur um sich daraufhin besser zu fühlen. Er wollte nicht mehr leiden. Er wollte wieder er selbst sein. Ein guter Ehemann und ein noch besserer Vater. Doch das war Alex derzeit auf keinen Fall. Nicht mal ansatzweise.
„Komm, Schatz. Setz dich doch.“
Sie lächelte. Lisa spielte die glückliche Ehefrau und Mutter und doch war es nur eine Maskerade, die Alex einfach nicht mehr ertrug. Sie zerfraß ihn innerlich. Ein Geschwür, das er nicht entfernen konnte und dabei viel stärker war als er selbst.
„Gerne.“
Auch Alex lächelte. Es war so falsch, wie es nur sein konnte. Er hasste sich von Sekunde zu Sekunde mehr.
Lilli aß ihre Waffeln immer mit Marmelade. Und heute musste die Erdbeermarmelade daran glauben. Wenigstens Lillis Unbeschwertheit schaffte es, ihm ein ehrliches Glücksgefühl zu vermitteln.
Lisa nahm ihre Waffeln hingegen mit viel Zucker zu sich, während sich Alex mit Puderzucker begnügte. Wenn er es einmal deftiger brauchte, kam frisches Obst und ein Klecks Sahne ins Spiel, doch diese „Sünde“ gab es nur selten. Schließlich störte ihn sein stetig wachsender Bauch jetzt schon.
„Haff heude Bär gedrummd“, kam es aus Lillis vollgestopftem Mund und selbst Alex, der geübt darin war, ihre Worte ins Verständliche zu übersetzen, schaffte es bei diesem Satz gerade noch.
„Du hast also heute von einem Bären geträumt?“, fragte er zur Bestätigung zurück.
Lilli hielt es immer noch nicht für angebracht, erst runterzuschlucken, bevor sie weitersprach.
„Japf. Ein ganf groffer.“
Lilli machte eine ausladende Geste mit ihren Armen, um zu demonstrieren, wie groß der Bär in ihrem Traum gewesen war.
Alex musste lächeln.
„Und was hat der Bär gemacht?“
Endlich hatte sie den Bissen hinuntergeschluckt.
„Ich durfte am Rücken sitzen. Wald anschauen.“
„Schön für dich.“
Lisa sagte die ganze Zeit über kein Wort. Alex unterhielt sich noch ein wenig mit seiner Tochter, die gar nicht mehr aufhörte, über ihren Traum zu erzählen. Zum Beispiel wie sie mit dem Bären Äpfel gepflückt oder auf einen Baum geklettert war. Es kamen auch noch ein Hase und ein Maulwurf vor, doch was die eigentlich getan hatten, verstand nicht mal Alex so recht.
Lilli ging nach dem Frühstück nach draußen zum Spielen. Lisa spülte ab, während Alex abtrocknete. Nachdem das Geschirr aufgeräumt war, kam das beklemmende Gefühl zurück. Sie hatten seit heute Morgen nicht mehr miteinander geredet und nun hatten sie
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