Fragmente: Partials 2 (German Edition)
heute Nachmittag zur Welt gekommen ist, haben Sie allerdings noch nicht gesehen. Folgen Sie mir!«
Er stieg mehrere Treppenabsätze hinauf. Zunehmend beunruhigt folgte ihm Kira. Natürlich war ein Kind zur Welt gekommen – warum sonst hatte er den Turm aufgesucht und eine Spritze mit dem Heilmittel geholt? Ihr Magen verkrampfte sich. Sie hatte einen großen Teil ihres Lebens im Krankenhaus von East Meadow verbracht und auf der Entbindungsstation Dienst getan. Dort waren Kinder gestorben, und die Mütter hatten vor Verzweiflung geweint. Plötzlich verspürte sie wieder die Anspannung, unter der sie damals gestanden hatte. Es gab allerdings eine wesentliche Veränderung: Vale besaß das Heilmittel. Dieses Kind musste nicht sterben. Andererseits wusste sie, woher das Heilmittel stammte. Sie schloss die Augen und sah die hageren, ausgemergelten Gesichter der Partials vor sich. Es war falsch, sie auf diese Weise gefangen zu halten, gleichgültig, was Vale zu seiner Entschuldigung vorbringen mochte. Und trotzdem …
Sie betraten einen Flur. Vorsichtig schloss Vale die Tür hinter ihnen. Frauen, Männer und Kinder gingen hin und her, und Kira stellte verblüfft fest, dass die meisten glücklich aussahen. Sie lachten, redeten, lächelten und drückten winzige Bündel an ihre Brust. Mütter und Väter, Brüder und Schwestern. Familien. Echte, genetisch verwandte Familien. So etwas hatte sie noch nie gesehen. Die Entbindungsstation, in der sie gearbeitet hatte, war ein Ort des Todes und des Kummers gewesen, ein Ort des verzweifelten Kampfs gegen einen erbarmungslosen, unversöhnlichen Feind. Es war die einzige Entbindungsstation, die sie je kennengelernt hatte. Hier aber sah alles völlig anders aus. Die Mütter, die Kinder zur Welt brachten, wussten, dass die Kinder überleben würden. Dies war eine erfolgreiche Entbindungsstation, die den Menschen Hoffnung schenkte. Kira musste innehalten und sich gegen die Wand lehnen. Genau das habe ich immer gewollt, dachte sie. Das will ich mit nach Hause nehmen, das will ich den Menschen mitbringen. Hoffnung und Erfolg. Glück.
Und doch …
Neben den vielen freudigen Geräuschen vernahm Kira allzu bekannte Laute – das Klagen eines sterbenden Kindes. Aus eigener bitterer Erfahrung wusste sie, wie das Virus seine Wirkung entfaltete, wie es das Kind unerbittlich angriff. Vale erklärte, bei dem erst wenige Stunden alten Kind sei RM derzeit noch auf den Blutkreislauf beschränkt. Bald bekäme der Säugling Fieber, das jedoch nicht tödlich wäre. Das Virus breitete sich dann langsam Zelle um Zelle aus, vermehrte sich und zerfraß den winzigen Körper von innen, bis sich das Kind – vielleicht schon morgen – bei dem Versuch, den Eindringling zu bekämpfen, buchstäblich selbst zerkochte. Zu einem so frühen Zeitpunkt konnte man die Schmerzen lindern und das Fieber senken, aber der Prozess selbst ließ sich nicht aufhalten. Ohne das heilende Pheromon war der Tod unausweichlich.
Höflich nickte Vale den Menschen zu, denen sie unterwegs begegneten. Kira folgte ihm wie betäubt. Was wollte er ihr zeigen? Wie das Heilmittel ein unschuldiges Kind rettete? Was er damit erreichen wollte, war ihr allerdings nicht klar. Wahrscheinlich wusste sie sogar besser als er, wie viel auf dem Spiel stand, kannte sie doch die Zustände, wenn kein Heilmittel zur Verfügung stand. Ihre Ansicht über die gefangenen Partials würde sich nicht ändern, und sie würde sich ganz sicher nicht auf Vales Seite schlagen. Dr. Vale schritt gerade durch die letzte Tür und betrat das Krankenzimmer. Die Mutter war fast außer sich vor Freude, und der ebenso dankbare wie aufgeregte Vater schüttelte Vale begeistert die Hand. Vale beruhigte ihn mit einigen Belanglosigkeiten und einem Lächeln und bereitete die Spritze vor. Kira stand unterdessen an der Wand und betrachtete das Kind, das in der Wiege schrie. Die Eltern musterten sie kurz, achteten dann aber kaum noch auf sie und widmeten ihre Aufmerksamkeit dem Kind. Genau wie es Madison und Haru getan hatten, kümmerten sich die Eltern um ihr Baby. Wie alle Eltern, die ihr je begegnet waren.
Erfolg hin oder her, dachte sie. Die Rettung der Neugeborenen kann nicht rechtfertigen, was Vale den Männern im Keller antut. Wenn die Eltern wüssten, dass lebende, atmende Personen so leiden müssen – wären sie dann immer noch so glücklich über das Heilmittel? Würden sie der Behandlung überhaupt zustimmen? Sie wollte die Eltern aufklären, ihnen alles offenbaren,
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