Fragmente: Partials 2 (German Edition)
doch sie war wie erstarrt.
Als Vale die Spritze vorbereitet hatte, wandte er sich an die Eltern. »Bitte«, sagte er leise, »lassen Sie mich kurz mit Ihrem Kind allein!«
Die Augen der Mutter weiteten sich vor Furcht. »Was haben Sie vor?«
»Keine Sorge«, erwiderte Vale. »Es dauert nur einen kurzen Augenblick.« Sie gingen nicht gern, schienen ihm aber zu vertrauen und verließen nach sanftem Drängen und einem weiteren fragenden Blick den Raum. Vale schloss die Tür hinter ihnen und drehte sich mit der Spritze in der Hand nicht etwa zu dem Kind, sondern zu Kira um und hielt sie ihr hin wie ein Geschenk. »Ich sagte bereits, dass ich die Menschen anführe, indem ich ihnen gebe, was sie brauchen. Jetzt geschieht das Gleiche mit Ihnen. Nehmen Sie die Spritze!«
»Ich will Ihr Heilmittel nicht«, erwiderte Kira.
»Ich gebe Ihnen nicht das Heilmittel, sondern lasse Ihnen die Wahl – Leben oder Tod. Das wollten Sie doch, oder? Sie wollen für alle anderen entscheiden, was richtig und falsch ist. Was gerechtfertigt werden kann und was unverzeihlich ist.« Wieder bot er ihr die Spritze an, trat auf sie zu und hielt sie hoch wie eine Opfergabe. »Manchmal müssen wir dem einen Schmerzen zufügen, wenn wir dem anderen helfen wollen. Das gefällt uns nicht, aber wir müssen es tun, weil die Alternative noch schlimmer wäre. Ich habe zehn Leben zerstört, um zweitausend zu retten. Ich glaube, das ist ein besseres Verhältnis, als viele Nationen für sich je in Anspruch nehmen konnten. Es gibt bei uns keine Verbrechen, keine Armut und kein Leiden außer dem der Partials. Außer meinem eigenen Leid und jetzt auch dem Ihren.« Abermals hielt er ihr die Spritze hin. »Wenn Sie glauben, Sie wüssten besser als ich, wie man ein Leben gegen das andere abwägt, wenn Sie glauben, Sie sollten entscheiden, wer lebt und wer stirbt, dann tun Sie es! Retten Sie das Kind, oder verurteilen Sie es zum Tod.«
»Das ist nicht fair.«
»Es ist auch nicht fair, wenn ich es tun muss«, erwiderte Vale grob. »Trotzdem muss einer es tun.«
Kira betrachtete die Spritze, dann das schreiende Baby, die geschlossene Tür, vor der die Eltern warteten. »Sie werden es erfahren«, überlegte Kira. »Sie werden auf jeden Fall erfahren, wie ich mich entschieden habe.«
»Selbstverständlich«, stimmte Vale zu. »Oder wollen Sie andeuten, Ihre Entscheidung könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wer davon erfährt? So funktioniert die Moral leider nicht.«
»Das habe ich auch nicht behauptet.«
»Dann entscheiden Sie sich!«
Kira blickte wieder zur Tür. »Warum schicken Sie die Eltern hinaus, wenn sie es am Ende doch erfahren?«
»Damit die beiden Sie nicht anschreien, während wir diese Diskussion führen«, erklärte Vale. »Entscheiden Sie sich!«
»Das ist nicht meine Aufgabe.«
»Vor zehn Minuten, als Sie mir sagten, mein Vorgehen sei böse, hat Sie das nicht gekümmert«, erwiderte Vale. »Sie sagten, die Partials müssten freigelassen werden. Was hat sich seitdem verändert?«
»Sie wissen, was sich verändert hat!«, rief Kira und deutete auf das schreiende Kind.
»Der einzige Unterschied besteht darin, dass Ihre anmaßende Moralität auf einmal mit den Konsequenzen konfrontiert wird«, sagte Vale. »Die gibt es bei jeder Entscheidung. Wir haben es mit der greifbaren Gefahr zu tun, dass die Menschheit ausgelöscht werden könnte. Das macht die Entscheidungen schwieriger und die Konsequenzen schrecklicher. Manchmal steht sehr viel auf dem Spiel. Dann kommt lediglich eine Möglichkeit infrage, die Sie vorher unter keinen Umständen in Betracht gezogen hätten. Damit Sie sich am nächsten Morgen im Spiegel in die Augen blicken können, gibt es nur eine einzige Entscheidung.« Er drückte ihr die Spritze in die Hand. »Sie haben mich einen Tyrannen genannt. Nun töten Sie das Kind, oder werden Sie selbst zur Tyrannin.«
Kira betrachtete die Spritze – die Rettung der Menschheit. Aber nur dann, wenn sie sie auch anwendete. Sie hatte Partials im Kampf getötet – lag hier eine andere Situation vor? Ein Leben nehmen, um ein anderes zu retten. Zweitausend andere retten, vielleicht sogar zehntausend, wenn sie sich anstrengten. In gewisser Weise war dies gnädiger als der Tod, denn die Partials schliefen nur …
Nein, sagte sie sich. Es gibt keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung. Wenn ich dem Kind das Heilmittel verabreiche, dann unterstütze ich die Folter und die Gefangennahme der Partials – die Misshandlung
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