Fragmente: Partials 2 (German Edition)
unheildrohend, aber nicht unmittelbar gefährlich oder beängstigend.
»So hat es also angefangen«, sagte sie laut und legte das Dokument weg, um ein anderes aus der Schachtel zu nehmen. Auch dies war ein Gefechtsbericht, der von Sergeant Major Seamus Ogden stammte. Seine Einschätzung der Partials entsprach jener seines Kollegen. Er sah sie keineswegs als Ungeheuer, sondern als Werkzeuge. Kira las ein weiteres und noch ein Dokument, in denen ausnahmslos eine ähnliche Haltung zutrage trat – man hielt die Partials nicht für harmlos, sondern dachte im Grunde kaum über sie nach. Sie waren Waffen wie die Patronen in einem Magazin, die man verbrauchen und jederzeit ersetzen konnte.
Kira wandte sich einer anderen Schachtel mit der Aufschrift 302 zu und zog einen Zeitungsausschnitt hervor, der aus einem Blatt namens Los Angeles Times stammte: PARTIAL-BÜRGERRECHTSGRUPPEN PROTESTIEREN VOR KAPITOL . Dann folgten ähnliche Ausschnitte aus der Seattle Times, darunter ein weiterer aus der Chicago Sun. Alle stammten von Ende 2064, nur ein paar Monate vor dem Ausbruch des Partialkriegs. Zu jener Zeit war Kira gerade fünf gewesen. Offensichtlich hatten die Partials damals ständig für Schlagzeilen gesorgt, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr Vater jemals über sie gesprochen hatte. Inzwischen wusste sie, dass er für ParaGen gearbeitet hatte, und konnte seine Beweggründe besser verstehen. Wenn er mit den Partials gearbeitet oder gar zu ihrer Erschaffung beigetragen hatte, dann war seine Einstellung ganz anders als die seiner Zeitgenossen gewesen – und vermutlich auf wenig Gegenliebe gestoßen. Und trotzdem hoffe ich, dass dem nicht so war, dachte sie. Warum hat er eine Partial wie seine Tochter erzogen? Sie hatte unklare Erinnerungen an ihr Kindermädchen und eine Haushälterin, doch auch die hatten nie über die Partials gesprochen. Hatte ihr Vater die Angestellten gebeten, dieses Thema zu meiden?
Hatten sie überhaupt gewusst, was Kira wirklich war?
Sie wandte sich den Schachteln mit den niedrigsten Nummern zu, entdeckte die 138 und nahm das oberste Blatt heraus. Auch dies war ein Zeitungsausschnitt, der jedoch aus dem Finanzteil einer Zeitung namens Wall Street Journal stammte und in nicht sehr konkreten Begriffen den Abschluss eines gewaltigen Rüstungsvertrags behandelte. Demnach hatte die US -Regierung im März 2051 mit der rasch wachsenden Biotech-Firma ParaGen Verbindung aufgenommen und ein Heer biosynthetischer Soldaten in Auftrag gegeben. Der Artikel konzentrierte sich vor allem auf die Kosten des Projekts, auf die Folgen für die Anteilseigner und die Auswirkungen auf den Rest der Biotech-Industrie. Bürgerrechte, Krankheiten und die anderen wichtigen Belange, die unmittelbar vor dem Zusammenbruch das Weltgeschehen bestimmt hatten, kamen nicht zur Sprache. Es ging nur ums Geld. Sie durchsuchte die Schachtel und fand weitere ähnliche Meldungen – die Transkription eines Interviews mit dem Finanzdirektor von ParaGen, eine interne Notiz über einen lukrativen neuen Vertrag der Firma, eine Zeitschrift namens Forbes , auf deren Titel das Firmenlogo von ParaGen prangte, während im Hintergrund ein bewaffneter Partialsoldat wachte. Kira blätterte die Zeitschrift durch und fand zahlreiche Beiträge über Geld, über Techniken, wie man noch mehr Geld verdienen konnte, über die Ereignisse im Isolationskrieg, der einerseits eine schreckliche Tragödie sei, andererseits aber die amerikanische Wirtschaft beflügeln werde. Geld, Geld, Geld.
Auch in der Gesellschaft von East Meadow hatte das Geld seinen Platz, aber es spielte im Grunde keine große Rolle. Alles, was sie brauchten, bekamen sie kostenlos. Wenn man eine Konservendose, eine Hose, ein Buch, ein Haus oder was auch immer brauchte, musste man sich nur die Mühe machen und etwas Passendes suchen. Geld wurde fast ausschließlich für frische Lebensmittel wie etwa Weizen von den Farmen und Fisch aus den Küstendörfern verlangt, weil die Lieferanten arbeiten mussten, um die Waren zu beschaffen. Auch diese Produkte wurden jedoch häufig im Tauschhandel auf dem Markt verteilt. Nandita und Xochi hatten ein lukratives Geschäft mit Kräutern betrieben und dafür frische Lebensmittel eingetauscht. Deshalb hatte Kira immer gut gegessen. Geld existierte gewöhnlich nur in Form von Gutschriften für Arbeiten: Gutscheine der Regierung für die Zeit, die sie im Krankenhaus geholfen hatte, eine Belohnung für einen wichtigen Beitrag, der sich nicht direkt
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