Fragmente: Partials 2 (German Edition)
in greifbare Güter umsetzen ließ. Es reichte aus, um genügend frischen Fisch und Gemüse zum Essen zu bekommen, aber es blieb nicht viel übrig. Das Geld war ein unbedeutender, fast zu vernachlässigender Aspekt ihres Lebens gewesen. Die Dokumente in der Schachtel 138 beschrieben eine Welt, in der Geld einfach alles war – nicht nur das Mittel, um den Lebensunterhalt zu sichern, sondern der Sinn des Lebens schlechthin. Sie stellte sich vor, wie es wäre, sich über den Krieg mit den Partials oder gegen die Stimme zu freuen und zu jubeln, weil sie dadurch zusätzliche Gutschriften für ihre Arbeit bekäme, und fand die Vorstellung so fremdartig, dass sie laut lachen musste. Wenn die alte Welt tatsächlich so funktioniert hatte – wenn allen wirklich vor allem das Geld wichtig gewesen war –, dann war es vielleicht besser, dass die Welt zerfallen war. Vielleicht war es sogar unvermeidlich gewesen.
»Du bist echt«, sagte Afa.
Kira fuhr erschrocken herum und versteckte schuldbewusst die Zeitschrift hinter dem Rücken. Ob er wütend war, weil sie seine Akten durchgesehen hatte?
»Hast du gerade gesagt, ich sei …« Sie hielt inne. »Ich sei echt?«
»Ich hielt dich für einen Traum.« Afa schlurfte herein, blieb an einem Karton stehen und wühlte müßig darin herum. Es sah beinahe aus, als streichelte er ein Haustier. »Ich habe so lange mit niemandem mehr gesprochen. Gestern Abend war auf einmal jemand in meinem Haus, und ich dachte, ich hätte es nur geträumt, aber du bist immer noch da.« Er nickte. »Du bist echt.«
»Ich bin echt«, versicherte sie ihm und steckte die Zeitschrift wieder in den Karton 138 . »Ich bewundere gerade deine Sammlung.«
»Es ist alles da – oder fast alles. Ich habe sogar Videos, aber nicht in diesem Raum. Ich habe die ganze Geschichte archiviert.«
Kira ging auf ihn zu und fragte sich, wie lange er wohl dieses Mal gesprächig bliebe. »Die Geschichte des Partialkriegs und den Zusammenbruch«, sagte sie.
»Das ist nur ein Teil davon.« Afa nahm zwei zusammengeheftete Blätter in die Hand und betrachtete seine eigenen Markierungen in den oberen Ecken, dann schob er die Blätter in die Kiste zurück. »Dies ist die Geschichte vom Ende der Welt, vom Aufstieg und Fall der menschlichen Zivilisation, von der Erschaffung der Partials und dem Untergang von allem anderen.«
»Hast du das alles gelesen?«
Afa nickte wieder und ging mit hängenden Schultern von Karton zu Karton. »Alles. Ich bin der letzte Mensch auf dem Planeten.«
»Dann ist das wohl begreiflich.« Kira blieb an der Kiste 341 stehen und zog ein amtlich wirkendes Dokument heraus, dem Erscheinungsbild nach eine gerichtliche Verfügung mit einem runden Siegel in der Ecke. Sie brauchte Antworten, wollte Afa aber nicht zu sehr bedrängen und ihn nicht verschrecken, indem sie etwas erwähnte, woran er sich nicht erinnern wollte. Ich drücke mich vorläufig lieber allgemein aus. »Wie hast du das alles gefunden?«
»Ich habe mit Computern gearbeitet«, sagte er. »In der Cloud«, ergänzte er gleich darauf. »Dort habe ich mein ganzes Leben verbracht. Ich konnte überallhin gehen und alles finden.« Er nickte in die Richtung einer Kiste mit verstaubten Zeitungsausschnitten. »Ich war frei wie ein Vogel.«
Ich habe deinen Namen bei ParaGen gesehen, hätte sie beinahe gesagt. Ich weiß, dass du Informationen über den Trust hast. Auch über RM , über das Verfallsdatum und über das, was ich bin. Sie suchte schon so lange nach diesen Informationen, und nun waren sie zum Greifen nahe, einsortiert in Schachteln und gespeichert in einem beeinträchtigten Gehirn. Hat ihm die Einsamkeit geschadet? Vielleicht arbeitet sein Gehirn einwandfrei, aber er hat so lange nicht mehr mit anderen Menschen gesprochen, dass er nicht mehr weiß, wie man sich verhält. Sie wollte, dass er sich setzte und sie ihm eine Million Fragen stellen konnte. Nachdem sie aber so lange gewartet hatte, hielt sie es wohl noch ein Weilchen länger aus. Gewinn sein Herz, erschreck ihn nicht, zieh ihn auf deine Seite!
Sie las den Gerichtsbeschluss, den sie noch in der Hand hielt. Es ging um eine Partialnation , die als terroristisch bezeichnet wurde. Die Schüler durften den Begriff weder aufschreiben noch sagen, und wer ihn an Wände malte, wurde als Bedrohung für die nationale Sicherheit verfolgt. Sie wedelte mit dem Papier, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. »Du hast viel über die letzten Tage vor dem Krieg gesammelt«, sagte sie. »Du hast hart
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