Frame, Janet

Reisen. Ich glaube, es bedeutet viele und jahrelange Reisen. Und das mit dem Apfelkuchen ist komisch, weil Dad nämlich ein paar Boskop von der Bahn mitgebracht hat und ich mir vorgenommen hatte, entweder heute oder morgen Abend Apfelkuchen zum Tee zu backen, einen richtigen, altmodischen Apfelkuchen.»
    Sie sah Toby misstrauisch an.
    «Du hast doch nicht etwa gewusst, dass ich Apfelkuchen zum Tee machen wollte? Das hat dir doch niemand erzählt?»
    «Wie das denn, Mum? Ich werde also viele Jahre lang viele Meilen weit reisen.»
    Er schaute seine Mutter an mit ihrem eingefallenen Hängebusen und ihrem mageren, von Zeit und Kindern ausgeplünderten Schoß und dem erstarrten Ausdruck von Abgefundenheit und Trost und Vertrauen, der sich um ihren Mund herum festgesetzt hatte und den die Angst und die Einsamkeit, die von Zeit zu Zeit wie Gefangene in ihren blassblauen Augen aufschienen, Lügen straften; und er wusste, genauso wie er wusste, dass er seinen Traum von der Ecke des Mondes kannte, aber nicht erzählen konnte, dass seine Mutter in ihrem Leben aus Kochen und Waschen und Einholen und Krankenbesuchen mit Blumen und selbst gebackenem Kuchen und sonntäglichem Extragebet – Segne, was du uns bescheret hast – oder ein paar Bibelversen, nach denen sie das Brot brach, die Augen auf den unsichtbaren Jesus gerichtet, der sagte, Nehmt und esst. Dies ist mein Leib –
    dass seine Mutter, obwohl sie nie ihr Heimatland verlassen hatte und überhaupt nie in Urlaub gefahren war, in ihrem Leben tatsächlich erlebt hatte, was sie für ihn voraussah:
    Viele und jahrelange Reisen,
    sodass ihre Schuhe abgetragen waren und ihre Füße an den Seiten überquollen und ihre Pantoffeln, die Männergröße hatten, an Fersen und Spitzen gerissen waren. Sie hatte Hühneraugen, eines oder zwei, die sie abends im dampferfüllten Badezimmer mit einer Rasierklinge ausschnitt; und Plattfüße, Senkfuß hieß es richtig; und Krampfadern, als wäre sie ihr Leben lang durch Europa und Asien und Südafrika und Amerika und Indien gewandert; und dabei war sie bloß durch ihren eigenen Hof und Garten gelaufen, zwischen Bohnen und Kohl und Möhrensaat, die nie aufging, weil der Wind einen Flieg-fort-Zauber darüber hinwegblies.
    «Ja, du wirst reisen, Toby, davon bin ich überzeugt. Ich habe dir gesagt, dass du von deiner Zukunft träumen wirst, obwohl ich nichts von diesem Aberglauben halte.»
    «Ich weiß nicht, ob ich von meiner Zukunft geträumt habe, Mum; mir kam es wie meine Vergangenheit vor.»
    Seine Mutter lächelte.
    «Das ist dasselbe, Toby. Es ist beides das Gleiche, nur mit verschiedenen Bezeichnungen.»
    Wie er sie hasste, wenn sie so apostelhaft lächelte, als wäre sie mit Gott und der Zeit im Bunde, wenn es denn einen Gott gab; als wäre sie eine Auserwählte, was sie ja vielleicht auch war; aber ihn machte der Gedanke wütend und schuldbewusst, denn müsste er sie dann nicht in Samt und Seide kleiden und ihr Frühstück ans Bett bringen, statt dass sie ihm Frühstück machte; und müsste er nicht jedes Mal, wenn sie ihn bediente, sagen:
    «Lass mich das machen, Mutter. Setz du dich ans Feuer und ruh dich aus.»
    Müsste er nicht eigentlich so handeln? Und wenn sie nun älter wurde und anfing, umherzuwandern und sich seltsam zu benehmen, und blind wurde? Was sollte er dann tun? Sollte er sie in ein Heim stecken und sie einmal die Woche mit Orangen und Veilchen oder anderen Blumen besuchen, vielleicht mit ihr an den Strand fahren, damit sie die Brandung sah; oder ihr ein Eis spendieren, wenn das Wetter schön warm war? Oder sollte er sie zu Hause behalten, eine Pflegerin einstellen, die für sie sorgte, und zusehen, wie sie überall umhertaperte und sich einmischte und Zeit und Geld verschlang, für das er geschuftet hatte, um seinen Erwachsenenschatz zu erwerben? Und sein Vater, was sollte er mit seinem Vater machen, wenn der älter wurde und taub wie der Großvater, mit dem man brüllen und dem man immer alles erklären musste; wenn er zitterte und tapste und sabberte und in die Hose machte und stank? Es war alles schrecklich, dachte Toby. Er würde es nicht aushalten. Er würde wahrscheinlich alle Hände voll zu tun haben, seinen Geldschatz festzuhalten, der ihm helfen sollte, dazuzugehören und das Wo und Warum und Wie zu beherrschen.
    Er wusste nicht, was er tun sollte, und fragte sich, warum er über das alles nachgedacht hatte. Weil seine Mutter seinen Traum mit vielen und jahrelangen Reisen gedeutet hatte. Und kann man nicht