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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Feindes List.
    «Der Herr», sagt die Schulleiterin nach dem Amen, «ist uns ganz, ganz nah.»
    Und sie zieht ihren Talar noch enger um sich.
    Dann schlägt sie die Bibel auf und liest aus der Bergpredigt vor.
    «Und da er die Menge sah, stieg er auf einen Berg.»
    Und sie sagt die Seligpreisungen auf. Selig sind die Friedfertigen, und die Armen im Geiste und die Trauernden, und sie erzählt, wie Christus sie beten lehrte.
    Dann wiederholen sie ohne aufzuschauen das Vaterunser mit dem Extrasatz, der für den Kriegsfall hinzugefügt ist, dass die Soldaten keine Angst haben sollen; und sie singen ein langes Kirchenlied, von der Musiklehrerin dirigiert, die taub ist und von den Lippen abliest und mit Beethoven verwandt ist; und das Kirchenlied hat so viele Strophen, dass, wenn es ein heißer Tag ist, ein paar Mädchen ohnmächtig werden oder an die frische Luft hinaus müssen und hinterher damit prahlen können.
    «Ich bin ohnmächtig geworden. Ich bin aus der Andacht rausgegangen, als das lange Lied gesungen wurde.»
    «O gib mir Samuels Ohren», singen sie. «Und Wache hielt der kleine Levit, das kleine Tempelkind.» Was für eine Wache eigentlich – so eine, bei der man sein Leben lang in einem dunklen Haus wie in einer Schachtel sitzt und aufpasst, ob ein Feind kommt?
    Es ist ein trauriges Lied, das Lied von dem kleinen Leviten, und ein paar Mädchen weinen dabei, sogar die mit zweistöckigen Häusern und Autos und Wohnwagen; doch sobald es aus ist, ist wieder Schule und die Schulleiterin kein bisschen näher bei Gott; als ob es nie eine Bibel gegeben hätte und keinen Jesus, der auf den Berg geht, wo die Luft kühl ist und nach Schneegras schmeckt, das überall am Weg nach oben wächst; und er kommt an einem toten Schaf vorbei, das die Geier gefressen haben, und ein paar lebende Schafe sitzen wie im Damensitz im Gras und käuen wieder. Und es ist ein ganz besonders schöner Berg aus der Geografiestunde, in den Südalpen, aber in keiner Stunde wird einem beigebracht, wie man ihn aufs Papier bringen soll; man malt nur Schattierungen wie mit Hexenstich.
    So ist denn alles in einer Wolke verschwunden, und die Schulleiterin legt ihren Talar über dem Busen übereinander und sagt:
    «Mädels, im letzten Halbjahr sind eine Reihe blauer Mäntel und Panamahüte hier liegen geblieben. Wenn sich niemand meldet, werden sie an den chinesischen Hilfsfonds gespendet.»
    «Mädels, einige von euch sind ohne Handschuhe auf der Straße gesehen worden oder wie sie an der Ecke mit Jungen von der High School gesprochen haben. Aber Mädels!»
    Die Schulleiterin ist sehr streng.
    Dann kommt der Invercargill-Marsch, und bald ist die Aula leer.
    Und Francie ist zu Hause, gefangen in einem ewig andauernden Morgen, in dem jeder Ton laut und fremd ist. Die Küchenuhr, die alte, die ihrem Großvater gehörte, tickt mit trügerischer Lautstärke und stiert mit dem leeren schwarzen Auge, in das man den Schlüssel zum Aufziehen steckt. Vorn kann man die Uhr aufmachen, und drinnen werden Quittungen und Rechnungen aufbewahrt, Kunstvereinskarten und alles, was nicht verloren gehen darf, weil sonst die Withers vor Gericht kommen oder bankrott gehen.
    Doch die Uhr ist Zeit, und die Zeit wird verloren, ist bankrott, ehe sie anbricht.
    Francie sitzt in der Küche. Das Feuer brennt zischend, dann rauscht es laut, bis die Klappe zugemacht wird. Manchmal knallen die Kohlen dumpf.
    «Das ist das Gas», erklärt Mrs Withers. «Die gekaufte Kohle macht das nie, nur die, die euer Vater von der Arbeit mitbringt.»
    «Bezahlt er dafür?»
    «Nein, Francie, er bringt einfach mit, was wir brauchen.»
    Der ewig lange Vormittag hat einen Vogel draußen auf dem Pflaumenbaum, einen Hund, der bellt, die Stimme des Bäckers, der beim Nachbarn klingelt und fragt:
    «Haben Sie am Wochenende Ihr Brot bekommen?»
    Und die Worte sickern durch die Stechpalmenhecke, werden dabei zerstochen, tropfen zum Küchenfenster herein, feste rote Worte, wie Stechpalmenbeeren, und sie riechen nach Brot und Schlüsselblumen und wie das Innere einer Teekanne.
    Und siehe da, es ist endlich Teezeit, Zeit zum zweiten Frühstück, und Mrs Withers sitzt breit auf der Kiste am Herd und trinkt Tee, und ein selbstgebackener Keks liegt zur Hälfte nass auf der Untertasse; und die Flut steigt und ertränkt den Keks, aber sie rettet ihn, wenn auch ein paar durchweichte Krümel zu Boden fallen, und sie tunkt den Rest in ihren Tee. Sodass der Zauberring aus Zickzacklinien, den sie mit einer alten

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