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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Mahlzeit die halbe Minute, um den Kopf in Ordnung zu bringen und die ermatteten Augen wieder auf die Hitze und den Dampf einzustellen; wie ein himmlischer Sheriff ruft die pünktliche Sirene die verurteilten Körper der Schwachsinnigen und längst verstorbenen Irren, die hüpfende, süße, schwatzende Prozession wieder dorthin, wo die Mangel ist und der nachmittägliche Tod und das Fressen, und anschließend die Nacht ohne Dunkelheit und der neue lichtlose Tag.

35
    Und dort lebte Daphne viele Jahre allein. In dem Bergzimmer ist es still. Ob Toby kommt oder Francie oder Chicks, oder Mutter und Vater, die wie Skulpturen ewig am gleichen Platz stehen, sodass ihr Leben durch ihre Körper wächst wie Gras durch ein alterndes steinernes Denkmal? Wer wird wohl kommen, in diese Stille?
    Im Nebenzimmer bewegt sich jemand und verflucht singend den Westwind und alle Männer, und es ist Mona mit der olivfarbenen Haut und dem dunklen Haar und den Augen wie dunkles Bier. Sie will ihr Kind wiederhaben, damit sie es anschauen und füttern und hassen lehren und ihm vorsingen kann:
    «So», sagt sie. «Mit meiner Ukulele oder Gitarre in der Hand. Und was soll ich singen? Ah!
Sonniger Schatz aus Australien,
ich liebe dich so sehr.
    Und dann das wilde, mein Kind, das dein Vater, dieser Hund, immer gesungen hat:
Ich bin ein Spieler, ein Landstreicher, und niemals daheim,
und wenn du mich nicht magst, dann lässt du’s eben sein.
Ich esse, wenn mich hungert, ich trinke nur aus Not,
und wenn der Mondschein mich nicht umbringt,
dann leb ich bis zum Tod.»
    Und dann denkt sie, damit ihr Kind, das sie jetzt in den Armen hält, um ihm vorzusingen und es hassen zu lehren, nicht hungern muss, an sein Essen und erzählt vom Berghang aus der Welt nicht von Milch, die gelb und fett und mit Liebe gesättigt aus der Brust oder dem Kuheuter fließt, wenn das neugeborene Kalb stößt und tanzt, hornlos und noch immer feucht von der Geburt, sondern von Käsepusteln, wie man den Teig macht, und wie man sie backt und:
    «Kennt ihr Käsepusteln», ruft Mona. «Kennt ihr sie? Sie krachen und sind salzig, wie Blut vermischt mit Käse aus alter, sauer gewordener Milch, Magermilch, blau und ausgelaugt, der traurige Rest der Liebe. Kennt ihr Käsepusteln? Kennt ihr sie? Ist jemand da, der mir Antwort geben kann?»
    Daphne im Nebenzimmer gibt keine Antwort, denn sie wartet darauf, dass Toby kommt, oder Francie oder Chicks, mit einer kleinen Tasche voll Weizen, um ihn gerecht mit ihr zu teilen. Ach, da sind Schritte vor der Tür, die Augen der Welt schauen durch das Loch in der Tür, der Schlüssel dreht sich im Schloss, und da steht ein Mitglied des weißen Stammes, der Häuptling vielleicht, und er ist gekommen, um warum und wo und wie zu sagen.
    Und dann sagte der Häuptling,
    «Na. Wo bist du? Weißt du jetzt, wo du bist? Du bist lange Zeit krank gewesen. Welchen Monat und welches Jahr haben wir? Und welchen Tag? Weißt du, wie du heißt?»
    Und dann:
    «Warum bist du hier? Weißt du, warum du hier bist?»
    Und die ganze Zeit stand Flora Norris neben ihm, die Hände auf dem Rücken verschränkt, das Gesicht vom Draht der Traumkapuzinerkresse durchschnitten, die Lippen fest aufeinandergepresst, um den halluzinierten Kuss von vor dreißig Jahren gefangen zu halten.
    «Antworte, Daphne», sagte sie, ihre ringlosen, antiseptischen Hände öffnend und vorn unter der Brust wieder vereinigend.
    «Hab keine Angst. Sprich mit ihm.»
    Daphne saß in der Ecke auf ihrem Strohsack, die Beine unter einem Stück zerrissener Decke, das Nachthemd, gestreift und rechteckig, am Leib wie eine verblasste Pfefferminzstange.
    «Antworte, Daphne», drängte Flora Norris wieder.
    Daphne sagte nichts. In ihrem Innern dachte sie:
    Sie sind wahnsinnig. Sie sind Hochstapler. Sie sind Diebe, die sich durch die Tage und Nächte ihres Lebens schleichen und ihre gefälschten Warums und Wies und Wos verschachern wie unechte Diamanten und Gold und sie in ihren ledernen Menschenhirnen verschließen bis zum nächsten Raubüberfall und gewaltsamen Umtausch, bei dem sie mit ihren von der Sonne unberührten Ton- und Glasperlen klappern und ausrufen:
    «Wer will unsere Antworten kaufen, echte Schätze, wer will sie kaufen?»
    Sie sind Betrüger, denn das echte Wie und Wo und Wer und Warum liegt in dem Kreis aus Toitoi, bei der herrlichen Schrift in dem Kassenbuch und dem weggeworfenen Buch, das vom Däumling im Pferdeohr erzählt; und in der Sonne, die durch das Opferfeuer scheint, um echte

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