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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Kuchen so groß wie der Everest, die sofort von den tanzenden, jubilierenden Menschen im Tagesraum von Schnee und Korinthen und Sultaninen und kandierten Kirschen befreit wurden; während die schwarze Erde des Kuchens zerkrümelt und klebrig liegen blieb. Und knallende Limonadenflaschen, die mit zwei oder drei Strohhalmen ausgetrunken wurden, und die schreckliche Wahl zwischen Himbeere und Orange, zwischen Blut und Sonne. Und abendliche Weihnachtslieder, zu denen der weiße Stamm freundlich lachte, sein Häuptling wohlwollend und nicht in Weiß, sondern im marineblauen Anzug mit Nadelstreifen und grünem Schlips, wie ihn Häuptlinge am Berghang zu Weihnachten tragen. Und der Tag mit dem Mann in Rot und Watteweiß, ein Betrüger, sagen sie in der Welt, ein verkleideter Mensch, begleitet von einem Gehilfen im schwarzen Rock und Hosen ohne Aufschlag, mit starken Händen, um die verwirrten Männer am anderen Berghang zu packen und niederzuringen; aber hier ist er echt und heißt der Weihnachtsmann und lächelt und verteilt Geschenke, Parfum und Wäsche und Puder, und die alten Frauen bekommen jede eine Plastikschürze, alle mit dem gleichen Muster, ein roter Vogel, der irgendwo über einen grünen Himmel fliegt. Und der Häuptling ist da mit seinen Nebenhäuptlingen, und alle sind wohlwollend und nachsichtig und lächeln. Und Flora Norris steht zwischen zwei Häuptlingen und erklärt alles und deutet auf die Leute und lächelt, als Daphne mit einem Geschenk in der Hand noch mal zum Weihnachtsmann kommt und ein zweites haben will – und warum auch nicht. Aber der Weihnachtsmann mit dem erstarrten Lächeln und dem heißen Gesicht ist jetzt müde und sagt scharf:
    «Nein, nein, sei nicht so gierig.»
    Daphne steht beschämt und verdattert da, wendet sich halb, um zu ihrem Platz in der Ecke zurückzukehren, und will doch nicht gehen, hat die Hand immer noch nach einem Geschenk ausgestreckt. Sie will keine Hose und keinen Unterrock mit blauen Bändern und kein Körperpuder und keinen Waschlappen, wie ihn die anderen bekommen haben; sie will auch nicht die lilafarbene, geblümte Schachtel Lavendelseife, vier Stück in steifes Zellophan gewickelt, die sie in der Hand hält, sondern etwas anderes, sie kann weder Namen noch Form noch Größe richtig benennen, aber sie möchte es haben, sie braucht es, und sie wartet darauf, dass der Weihnachtsmann, der rotweiße Gott, der mitten im Zimmer vor dem Engel und dem Baum steht, ein Einsehen hat. Aber er reckt den Menschenhals aus seinem schweren Gewand aus Blut und sagt böse und ungeduldig:
    «Sei nicht so gierig.»
    Er stockt und schaut nach ihrem Namen suchend zu Flora Norris hinüber, die ihn rasch damit versorgt, ordentlich gelocht und dargereicht wie eine Fahrkarte:
    «Daphne Withers.»
    «Sei nicht so gierig, Daphne. Geh weg.»
    Und da sie sieht, dass der rotweiße Gott kein Gott ist und dass es auch kein Geschenk und kein Weihnachten gibt, fängt Daphne an, leise zu weinen, und wirft dem Wattemann die geöffnete Schachtel mit Seife hin. Der Deckel der Schachtel fällt ab und die Seife purzelt heraus, und das ganze Zimmer riecht nach Ye Olde English Lavender, und der Weihnachtsmann niest von dem scharfen, billigen Parfum, und Flora Norris, die sich vor den Häuptlingen schämt, gibt einer Schwester ein Zeichen, damit sie Daphne mitsamt ihrer Lavendelseife fortbringt und einsperrt.
    «Gier, reine Gier», erklärt Flora dem obersten Häuptling.
    «Solche Leute verderben einem den ganzen Tag.»
    Der Häuptling nickt und saugt schnüffelnd den verfliegenden Lavendelgeruch ein, und noch einen anderen Geruch, den bisher niemand bemerkt hat, und der bewirkt, dass Flora aufgeregt mit einer der Schwestern flüstert, die einen Patienten nach dem andern schnell auf die Toilette bringt, alle mit ihren Waschlappen und Schürzen und ihrem Puder (Lavendel und Rose) fest in der Hand. Und Weihnachten ist vorbei oder gar nicht erst gewesen, und der Engel auf dem höchsten Zweig des toten Baumes wird zu einer Filmstar-Puppe von Woolworth. Und die drei Weisen, die dem falschen Stern gefolgt sein sollen, sitzen am anderen Berghang in kleinen Zimmern mit hoch angebrachten Fenstern und zugesperrten Türen, wo sie vor sich hin dämmernd vom Ende der Reise träumen oder wach sind und weinend die Tatsache verfluchen, dass der Mensch den menschlichen Kompass nicht kennt und nicht weiß, wohin ihm die Hand des Sternes zu folgen bedeutet.

38
    Bald nach Weihnachten fand das traditionelle Picknick statt;

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