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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Flora Norris und Schwester Dulling dachten, so etwas der erste Schritt zu einem normalen Leben ist; und wenn sie erst einmal gelernt haben, was zuerst kommt, Tages- oder Nachtcreme, und wohin es gehört, dann sind sie, wie es einer der Häuptlinge in einem Radiovortrag ausgedrückt hatte:
    «Auf dem Weg zur Normalität und zu den echten Werten der Zivilisation.»
    Also wurden die Frauen geschminkt. Und richtig schick gekleidet, denn sie fuhren mit dem Bus, und hinten im Bus, wo das Gepäck untergebracht wird, hatten Flora Norris und Schwester Dulling eine ganze Tonne guter Dinge zum Essen verstaut, Sandwiches mit Pastete und Tomate und, verfärbt und haarscharf an der Grenze zum Schlechtwerden, Fleisch und süßsauer Eingemachtes; ach, so viele Sandwiches für die zwanzig Reisenden, den Busfahrer und den Wärter, der mitfuhr, um Feuer zu machen und mit Hand anzulegen, falls jemand bösartig wurde, und die Krankenschwester und Schwester Dulling nicht mitgerechnet; ach, so viele Sandwiches, dass die Patienten sie wie weiße, matschige Fliesen zu einem Pfad hätten auslegen können, den man gehen konnte, so es denn auf der Welt einen Ort gäbe, zu dem man gehen könnte.
    So saßen sie da, bis der Bus, blitzend und mit dickem Bauch, zum Einsteigen bereitstand; und sie wurden hineingegossen wie Sommerwind und flüssiger Lack; und sie saßen da und sahen sich überall um und hatten Angst und rochen das Motoröl und beobachteten die Ventilatoren und streichelten die Ledersitze und machten die Fenster auf und zu und wieder auf und wippten auf den Sitzen und schauten hinaus auf die anderen, die nicht mitdurften und nicht begriffen, was ein Picknick war; auf die Patienten, die auf der Station Mittag essen und den Nachmittag im Hof verbringen und dann Abendbrot bekommen würden, genau wie sonst, genau wie sonst, und dann zu Bett gebracht und ausgezogen würden, ihre Kleider mit dem Ärmel eines grauen Pullovers zu einem Bündel verknotet und vor die Tür gelegt. Obwohl es auch sein konnte, dass eine Schwester irgendwann am Nachmittag Lutschstangen aus dem Fenster in den Hof warf und es eine Balgerei gab, die in Streit und Weinen ausartete, weil manche Leute schneller zupacken können, so wie normale Menschen, und manche langsam sind.
    Und während sie dasaßen und durch die Busfenster zu den anderen hinausschauten, die ohne Picknick waren, schrie Ngaire, die in Blau gekleidet war und eine blaue Schleife im Haar trug und sehr elegant aussah, plötzlich die Leute an, für die es kein Picknick gab, und schrie immer und immer wieder und hämmerte auf das Busfenster ein, denn sie hatte Angst, und alles war so fremd, das blaue Kleid und die Schleife im Haar; und der Wärter eilte entschlossen zu ihr hin, und sie holten sie schnell aus dem Bus und brachten sie zurück in den Tagesraum, wo sie sehnsüchtig aus dem Fenster schaute wie die andern, die daheim bleiben mussten; aber sie war jetzt friedlich, weil es nichts Unbekanntes mehr gab, keinen fremden Ort, zu dem man fahren und an dem man essen sollte, unter fremden Bäumen und einem nackten Himmel neben einem gespenstischen und ewig fließenden Bach aus Eis.
    Flora Norris, die aufpasste und darauf wartete, die Picknickgesellschaft zu verabschieden, sagte:
    «Wie dumm! Da bleibt ein Platz leer. Wer kann statt Ngaire mitfahren? Wer ist gesund genug?»
    Und Schwester Dulling, die wirklich sehr sommerlich wirkte, in Dunkelblau mit weißen Tupfen, mit Sandalen und mit einem großen Strohhut in der Hand, sagte ebenfalls:
    «Zu dumm! Es ist niemand mehr da.»
    «Daphne?», schlug Flora vor.
    «Gott, wenn Sie denn meinen», sagte Schwester Dulling.
    Man holte Daphne und zog sie an und beförderte sie aus der kleinen Hütte am Berghang ans Tageslicht und in den Bauch des rotgoldenen Ungetüms, das schnurrte, als es sich in Bewegung setzte, und sprang und später in den Hügeln auf seinem Weg zum Picknick winselte und weinte. Und Schwester Dulling ging zweimal mit einer Keksdose voll Bonbons durch den Bus und sagte großzügig:
    «Eins für jeden.»
    Daphne nahm ein Lakritzbonbon, schälte die wechselnd gerippte Nacht aus ihrem gelben und blauen und rosa Tag und lutschte es ganz auf, während der Bus ächzte und schwitzte und einige Patienten
    «Picknick, Picknick»,
    riefen.
    «Picknick. Wo denn?»
    Schwester Dulling gab keine Antwort. Sie durfte es nicht sagen. Es war ein Geheimnis, wie alle Picknicks ein Geheimnis waren, damit die Welt nicht herausbekam, wohin sie fuhren, und ihnen nicht

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