Frame, Janet
um Gottes willen ein Fenster auf», sagte Flora Norris.
Nein, es lag kein Zauberschuh auf dem Fußboden. Wenn aber einer da gewesen wäre, denkt nur, was dann für eine Aufregung geherrscht hätte, während Flora Norris und Schwester Dulling und die Krankenschwestern stritten und riefen:
«Mir gehört er, mir, er passt mir genau»,
ohne zu wissen, dass sie, um in seinem Glanz einherschreiten zu können, sich erst ihre Ferse der Vernunft hätten abhacken müssen, bis das Blut floss und sie vor Schmerzen laut aufschrien.
40
Am Tag nach dem seltsamen Abend, als sie in der Asche zwischen den getrockneten Erbsen saß und zwei und zwei zu fünf zusammenzählte, schaute eine Krankenschwester durch die Tür zu Daphnes Bergzimmer, und als sie sah, dass Daphne ruhig auf dem Strohsack saß, öffnete sie die Tür.
«Daphne», sagte sie.
Es war die Maori-Schwester, und sie hatte eine Tüte Sahnebonbons in der Tasche. Sie gab Daphne ein Sahnebonbon.
«Hier. Fang. Komm mit, Daphne, die Oberin will dich sehen.»
Sie brachte Daphne in das Büro, in dem die Oberin an ihrem Pult über Krankenblättern und Büchern und halb ausgewickelten Paketen saß.
«Ah, Daphne, meine Liebe.»
Die Oberin zog einen Wandschirm aus der Ecke, der auf Rädern dahinglitt und mit einem Muster aus Rosen und Rosenblättern bemalt war, zwei Rosen auf jedem Flügel.
«Damit wir mehr unter uns sind», erklärte Flora Norris. «Sie warten, Schwester, für den Fall, dass ich Sie brauche.»
Flora Norris schien zu wollen, dass alles ganz vertraulich zuging. Sie streckte die Hand aus und berührte Daphne an der Schulter. Das Mädchen erschauerte und zog sich weiter zur Tür zurück, und Flora Norris folgte ihr, grimmig, wie eine Großaufnahme, die Hand ausgestreckt, mit Fingern wie Eiszapfen.
«Nun, Daphne, wir müssen alle früher oder später da durch, weißt du, und dann müssen wir damit fertig werden, nicht wahr?»
Daphne gab keine Antwort. Sie zerriss die riesigen Rosen in kleine Fetzen und warf die Blütenblätter Flora Norris ins Gesicht, und jedes Blütenblatt zerschnitt die Haut der Oberin, sodass Blut floss und eine echte Rose auf dem Wandschirm zum Erblühen brachte, der gar nicht mehr wie ein Wandschirm wirkte, hinter dem man sich versteckt, und wer konnte und wollte auch schon zusehen außer Gott, der vielleicht zu Hause war und vielleicht auch nicht. Ach, dachte Daphne, was wird mir die Oberin bloß erzählen?
«Hörst du zu, Daphne? Wir müssen alle damit fertigwerden.»
Daphne sah sie verschlagen an und lächelte, denn sie wusste, wovon ihr Flora Norris hinter dem Wandschirm erzählen wollte. Vom Tod. Man muss sich hinter einem Wandschirm verstecken, wenn man über den Tod sprechen will, so, wie man das Gesicht beschämt hinter einem Taschentuch versteckt, um seine Tränen zu verbergen. Daphne wusste, es war der Tod, ihre Mutter war tot, und sie wartete darauf, dass ihr die Oberin es erzählte.
«Ja, Daphne, da müssen wir alle durch, und wir müssen sehr, sehr tapfer sein.»
Warum rede ich wie ein Pfarrer, dachte Flora Norris. Ich spreche mit einer Schwachsinnigen, einer Idiotin, auch wenn man diesen Ausdruck heute nicht mehr gebraucht, wenigstens nicht offiziell. Ich glaube kaum, dass sie versteht, was ich ihr sage, und es ist fast Zeit zum zweiten Frühstück, und ich sterbe vor Appetit auf eine Tasse Tee und ein Sahneröllchen. Es kommt mir vor, als hätte ich letzte Nacht überhaupt nicht geschlafen, von all dem Aufpassen bei der Tanzerei und dem Durcheinander hinterher, bis sie wieder alle auf ihrer Station und ausgezogen waren, und von meinem Rundgang hinterher, wo ich die geschminkten und gepuderten Frauen ansehen musste, wie sie ungewaschen wie Ölgötzen in ihren Betten saßen und die Nacht über ihre Gesichter lief und ein Traum ihre Augen verschmierte. Ach, zum Teufel.
«Daphne, ich habe ein Telegramm bekommen, dass deine Mutter gestern Nacht gestorben ist. Friedlich. Es ist alles gut.»
Die Oberin gab der Schwester ein Zeichen, sich auf alle Fälle bereitzuhalten. Daphne lächelte sanft und tanzte einen Foxtrott, oder war es der Destiny oder der Maxina, von dem Francie gesagt hatte, dass man ihn im gleichen Herzschlag mit dem Partner tanzte? War es der Maxina oder der Destiny? Oder Foxtrott? Daphne wusste es nicht mehr. Sie wusste, dass es irgendein Tanz war, aber sie erinnerte sich nicht mehr, welcher. Also stieß sie die überwältigenden Rosen und den Wandschirm beiseite, damit Gott sie sehen konnte, und tanzte
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