Framstag Sam
hatte sie gar nicht mit einem solchen Glück gerechnet. Sie gab Vollgas und preschte in die Lücke hinein. Links und rechts von ihr taten die Nachbarn dasselbe. Der Schock machte Sam hellwach. »Wir sind drin«, jubelte Susan, »und dabei ist es erst viertel vor sieben!«
Sam schaute sich um. Mehrere Reparaturhelikopter waren bereits damit beschäftigt, die Wracks von der Straße zu schaffen.
»Und was passiert mit den Fahrern dieser Wagen?«
»Wenn sie die Karambolage überlebt haben, können sie mit lebenslänglich rechnen«, sagte Susan. »Aber soweit kommt es nur selten.«
»Welch ein Glück.«
»Wie man's nimmt. Die wenigsten Unfallverursacher haben allerdings genug Stehvermögen, eine solche Schande zu überleben. Die meisten begehen Selbstmord.«
»Oh«, sagte Sam. »Selbstmord?«
»Genau. Was würdest du denn in einem solchen Fall tun?«
Das wußte Sam nicht. In jedem Fall aber… etwas anderes. Er hatte sich gestern schon geschworen, in dieser absolut verrückten Welt niemals ein Auto anzufassen. Zehn Jahre für eine Panne. Lebenslänglich für einen Unfall, wenn man nicht vorher Selbstmord beging…
Sie fuhren weiter. Aber nur wenige Minuten später begann sich die Geschwindigkeit der Autoschlange schon wieder zu verringern.
»Wir sind fast da«, sagte Susan.
Und tatsächlich – vor ihnen, in einer Entfernung von weniger als einem Kilometer, ragte der gewaltige Kubus der Stadt in die Wolken hinein.
»Wo warst du denn letzten Framstag?« fragte Sam, einem plötzlichen Impuls gehorchend.
»Wann?« fragte Susan.
»Am Framstag.«
»Hab' ich noch nie von gehört. Welch ein doofer Name, hör mal. Hat das was mit der Bibel zu tun?«
»Nein«, erwiderte Sam. »Vergiß es.«
Sie umrundeten einmal die Stadt, ohne jedoch einen Parkplatz zu finden oder auch nur einen einzigen Fußgänger zu sehen. jeder andere Autofahrer aus Sams Zeit hätte sich nach einer solchen Fahrt hart am Rande eines Nervenzusammenbruchs befunden, aber Susan schien das Verkehrschaos absolut nichts auszumachen. Entschlossen setzte sie zur zweiten Umkreisung der Stadt an. Und dann zur dritten.
Nachdem sie die Stadt vierundzwanzigmal umfahren hatten – es war nun viertel vor neun –, stieß sie einen Freudenschrei aus. Und wahrhaftig: Etwa hundertfünfzig Meter vor ihnen sprang ein Mann aus einem Taxi. Er schwenkte einen deutlich sichtbaren Wagenschlüssel.
Und dann öffnete er tatsächlich die Tür seines Autos.
Susan verhielt sich, um bei den anderen Parkplatzsuchenden keinen Verdacht aufkommen zu lassen, so unauffällig wie nur möglich.
»Lehn dich aus dem Seitenfenster«, sagte sie gelassen zu Sam. »Streck ihnen die Zunge raus, mach irgendwelche Grimassen. Du mußt die anderen Fahrer ablenken. Schnell!«
Sam tat, wie ihm geheißen, und kam sich dabei wie ein Idiot vor. Susan saß neben ihm auf der Lauer wie ein zum Sprung ansetzendes Raubtier und berechnete ihre Chancen. Sie würde es schaffen. Sie waren dem bewußten Auto schon ziemlich nahe gekommen.
Und dann stieß Susan einen Fluch aus, der so lang, originell, so entsetzlich gotteslästerlich und absolut unweiblich war, daß ich ihn unmöglich niederschreiben kann.
Der Mann hatte nämlich mit todernster Miene lediglich eine Tasche – die er offensichtlich vergessen hatte – aus seinem Wagen genommen und die Tür wieder abgeschlossen. Und nun setzte er sich mit einem Grinsen, in dem absoluter Spott zu erkennen war, auf die Motorhaube seines Fahrzeugs und wartete auf ein anderes Taxi.
»Dieser durchtriebene Schurke!« schäumte Susan und drohte dem Mann, während sie wieder Gas gab, durch das offene Fenster mit der Faust. »Hast du das gesehen? Zum Glück habe ich mir seine Nummer gemerkt. Sofort morgen werde ich ihn verklagen. Was denkt sich dieser Kerl überhaupt?«
»Unerhört«, meinte Sam, denn in dem Frechling von einem Autobesitzer hatte er ganz deutlich diesen rotznäsigen Pascal erkannt, der ihm während seiner verwünschten Nachforschungen nach diesem Framstag seine Julie abspenstig gemacht hatte.
Nach der zweiundvierzigsten Umkreisung der Stadt – es war nun halb zehn –, bot sich ihnen eine ähnliche Parkmöglichkeit. Diesmal war es allerdings kein falscher Alarm. Mit einem eleganten und auch etwas gewagten Bogen zwängte Susan ihr Gefährt nur wenige Zentimeter hinter dem wegfahrenden Auto auf den freigewordenen Platz.
»Halb zehn ist an sich noch eine ganz gute Zeit«, meinte sie, schenkte sich aus der Thermoskanne noch ein Täßchen Kaffee
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