Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
dein Vater sein Anrecht auf die Krone weggepisst hat.«
Die Stimmen waren leicht zu erkennen: Avgay’el und Mik’el. Die Übersetzung in meinem Kopf zeigte einen Mann, der nicht nur urinierte, sondern seinen Urin auch als Wertsache sammelte. Jemanden, der verquere Prioritäten setzte. Ich sah mich um; alle lauschten gierig.
Wie peinlich für die Prinzessinnen und wie demütigend für Dadua.
»Die Königswürde kann auf keinen Fall verloren gehen«, sagte Mik’el. Der Frost in ihrer Stimme hätte Fensterscheiben vereisen können. »Aber das begreift ein Weib deines Standes natürlich nicht. Du bist der Beweis dafür, dass Tiefes sich zu Tiefem hingezogen fühlt und Flaches zu Flachem.«
Wir alle schnappten hörbar nach Luft. Der Mann mochte in einem schäbigen Verschlag wohnen und über eine Horde von religiösen Raufbolden regieren, doch er war immerhin König. Ein König! Er war ein Mann, der zum Beispiel gebieten konnte: »Runter mit ihrem Kopf!«
»Wie kannst du es wagen, Dadua flach zu nennen?«
Ich vermutete, dass Mik’el das durchaus sagen konnte, schließlich wussten wir alle, dass Dadua sich nichts aus ihr machte. Ich konnte fast vor mir sehen, wie sie mit den Achseln zuckte. »Er ist nichts als ein Mann aus dem gemeinen Volk. Der Abkömmling eines Yudi-Bauern«, sie lachte, »und einer Apiru-Sklavin.«
Das war eine schwere Beleidigung, so viel hatte ich inzwischen begriffen.
Mik’el lachte wieder. »Nur durch Muskelkraft hat er den Thron gewonnen. Er steht ihm nicht zu; er war nicht auserwählt, er hat einfach danach gegrabscht!«
»Ach, sie ist so dumm!«, flüsterte eine der Küchensklavinnen.
»Vom Grabschen verstehst du natürlich etwas.« Avgay’els Stimme war schneidend vor Ekel. »Hast du dir nicht den ersten sabbernden Narren gegrabscht, der gewillt war, dich, eine verstoßene Frau, aufzunehmen?«
»Dadua hat mich nicht verstoßen«, zischte Mik’el ohrenbetäubend laut. »Er hat begriffen, dass ich zu fein war, um in einer Höhle zu wohnen!«
»Das stimmt«, kommentierte eine andere Sklavin. »Sie hätte nicht mal gewusst, wie sie ihr Stroh wechseln soll!«
Ich zuckte zusammen, denn das war eine grobe Beleidigung: die Frauen aus dem Stamm saßen auf Stroh, wenn sie ihre Tage hatten. Ich hätte die Sklavinnen gern zum Schweigen gebracht; sonst würde uns die Erwiderung entgehen.
»Nein, er hat gewusst, dass du zu kalt bist, um mit einem Mann zusammenzuleben«, brüllte Avgay’el.
»Nein, ich habe sehr gut mit einem Mann zusammengelebt. Er hat gewusst, dass ich zu sehr G’vret bin, um wie eine grunzende Sau um die Aufmerksamkeit eines lüsternen Apiru zu buhlen!«
Schweigen. Der armen Avgay’el blieb nichts anderes übrig, als mit den anderen Frauen in Daduas Leben zu konkurrieren. Das war ihr Los; so war es in ihrer Zeit üblich. Doch das Thema war tabu. Man sprach nicht darüber, weil es geschmacklos und schmerzhaft war und weil es keine geeignete Erwiderung darauf gab. Es war einfach so.
Dazu kam noch die Beleidigung mit den Schweinen. In meiner Zeit war der Verzehr von Schweinefleisch für Muslime wie für Juden eine schwere Sünde. Galt diese Regel schon jetzt?
»Wenigstens bietet er mir an, bei mir zu liegen«, erklärte Avgay’el gekränkt. »Bei mir lässt seine Kraft nie nach, bei mir verströmt er seine Leidenschaft. Er begehrt mich.«
»Autsch«, entfuhr es mir. Alle wussten, dass Dadua zwar Mik’els Rückkehr erzwungen hatte, aber noch nicht mit ihr ins Bett gegangen war. Nicht einmal in der Nacht, als sie ihr Ehegelübde erneuert hatten. Darauf gab es für Mik’el nichts zu erwidern. Zum ersten Mal tat sie mir aufrichtig Leid.
Ihn zu ertragen, obwohl sie ihn nicht begehrte, war das eine; so abgewiesen zu werden, dass es der ganze Hof mitbekam, etwas anderes. Eine öffentliche Demütigung in Reinkultur nämlich.
Jetzt knallten die Türen in Stereo.
In der Küche wagte keine, die anderen anzusehen. Wir konzentrierten uns einfach auf unsere Arbeit und wirkten, als Sha-na wenig später auftauchte, wie Sinnbilder von Würde und Anstand. Sie war knallrot. Natürlich wusste sie, dass wir alles mitbekommen hatten. Ich füllte unschuldig meine Kakerlaken und stopfte sie in die Krüge.
»Vergiss die Mandeln nicht«, erklärte sie.
Mandeln! Von Mandeln hatte sie kein Wort gesagt. Noch während ich darüber grübelte, wie ich mich beschweren konnte, ohne dabei allzu viel Staub aufzuwirbeln, erklärte sie mir, dass die Transuse mir welche bringen würde und dass
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