Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
jene, die vor der Stadt lagerten, ihr Wissen nur gegen Essen ein.
Ein Kaufmann konnte beispielsweise etwas über einen unterirdischen Gang andeuten, in dem sein Kunde Waren lagerte, um dann unvermittelt um einen Gratisnachschlag zu bitten. Zum Glück war die ganze Sache ein einziger Witz, weil jeder alle Geschichten aus Jebus kannte. Sie hatten sich zu wahren Stadtmythen entwickelt.
Die Situation erinnerte mich an die Geschichte von den Sträflingen, die ihre Witze durchnummeriert hatten, sodass einer nur »Zweiundfünfzig« zu brüllen brauchte, und alle lachten los, weil jeder die Pointe kannte.
Mir oblag es, unser Gebräu auszuteilen, das wir dadurch an den Mann brachten, dass wir es als »Suppe« bezeichneten. Die Kommentare - neckisch, verführerisch, draufgängerisch oder humorvoll - nahmen kein Ende, denn ich war unverkennbar eine Frau. Dov blieb dicht neben mir und ging mit keinem Wort auf die Bemerkungen über eine dritte Frau, die Freuden der frühsommerlichen Liebe im Wald etc. ein. Zum Glück war es so dunkel, dass mir die glühenden Wangen nicht anzusehen waren. Ohne etwas Neues erfahren zu haben, kehrten wir auf unseren Beobachtungsposten zurück. Wir würden uns die Nacht aufteilen, wobei ich während der ersten Wache und er während der zweiten schlafen durfte.
Es war nach meinem Maßstab zwar kein Zelt, doch ich schlief. Nur um Cheftus Sicherheit machte ich mir Sorgen. Doch ehe ich mich versah, wurde ich von Dov geweckt.
Er schnarchte. Laut. Ich zog mich an den Rand einer ausgeschlagenen Lichtung zurück, weit genug von ihm entfernt, dass ich auf die Geräusche der Nacht lauschen und zugleich die
Stadt beobachten konnte. Ich hörte nur leises Rascheln und Knurren, doch keine Bewegungen. Ich kniff die Augen zusammen, blickte fest auf das Fenster in der Stadtmauer und behielt es im Auge, bis ich eine Bewegung zu sehen meinte: Das Rechteck wurde erst dunkel, dann wieder hell. Jemand war vor einer Lampe vorbeigegangen, reimte ich mir zusammen. Dass dieser Jemand ging, bedeutete, dass er wach war, auf diesem Weg kam also niemand hinein.
Eine uneinnehmbare Stadt. Falls ich einen anderen Plan austüftelte, würden wir dann das »Wasserweg-oder-Stirb«-Programm fallen lassen können, das Yoav sich zurechtgelegt hatte? Ich wollte freikommen; was für eine Freude wäre es, Cheftu zu erzählen, dass wir uns sofort nach seiner Freilassung aus dem Staub machen konnten, da ich ebenfalls meine Freiheit gewonnen hätte. Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was Cheftu empfinden würde, wenn er heimkehrte und erfuhr, dass ich gestorben war.
Ich weigerte mich zu sterben. Es musste einen Weg geben, einen weniger gefährlichen Weg. Wieso hatte ich die Urim und Thummim nicht bei mir?
Wieder sah ich zur Stadt hinüber und überlegte mir, wie ich hineingelangen könnte.
Konnte man hier mit trojanischen Pferden arbeiten? Nein -dazu war das Tor zu schmal und zu niedrig. Nicht einmal ein Pferd mit Wagen käme hindurch - wenn die Stämme so etwas besessen hätten. Sie wären in den Straßen von Jebus, die Yoav zufolge verschlungen und von unzähligen Treppen unterbrochen waren, nur hinderlich. Wäre ein Ochsenwagen mit Gespann besser? Keinesfalls.
Vielleicht hatte Yoav Recht. Vielleicht führte der einzige Weg in die Stadt durch das Wasser.
Als Dov aufwachte, erklärte ich ihm, dass ich mir den Bach genauer ansehen wollte. Er nickte und erklärte mir, wo ich ihn finden würde. Ich wuchtete meinen klobigen Wasserkrug auf die Schulter und machte mich dann an den Abstieg den fünfundvierzig Grad steilen Hügel hinunter. Abwechselnd schlitterte und rannte ich. Noch ehe ich hundert Meter weit gekommen war, schwitzte ich am ganzen Leib.
Es war heiß für einen Junitag!
Noch bevor ich am Talboden angekommen war, keuchte ich bereits vor Erschöpfung - zum Wandern brauchte man andere Muskeln als zum Dattelnfüllen. Jetzt musste ich nur noch auf der anderen Seite einen ähnlich steilen Abhang hochzuklettern.
Wieso kam eigentlich nie ein Taxi, wenn man mal eins brauchte?
Über mir erwachten eben die nach Jebus ziehenden Pilger, während bereits der nächste Spionagetrupp versuchte, ihnen gegen ein Frühstück neue Informationen abzuhandeln.
Der leere Krug schaukelte auf meiner Schulter herum wie ein betrunkener Elefant, während ich mir mühsam einen Weg suchte. Die Hügel bestanden fast durchweg aus Felsgestein. Im Wind silbern und grün changierende Olivenbäume standen in Gruppen an den Hängen.
Ich entdeckte den
Weitere Kostenlose Bücher