Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
der Zeit«, schränkte sie ein. »Gib ihr den Mohn, ob sie ihn will oder nicht.«
»Meine Majestät -«
RaEm wandte sich wieder dem Mädchen zu. Der Griff um ihre Hand hatte sich gelockert. Schweißtröpfchen kullerten über die Wangen der eben erst Vierzehnjährigen, und ihre Stirn war glühend heiß. Einen Moment lang empfand RaEm echte Angst. Vielleicht war es doch mehr als bloße Einbildung?
»Nimm ihre Temperatur«, befahl sie dem Arzt.
Er legte eine runzlige Hand auf ihre Stirn. » Ukhedu«, urteilte er bekümmert. »Sie kämpft eine schwere Schlacht.«
»Wie meinst du das? Wie können wir ihr helfen?«
»Aii! Ukhedu ist in ihren Leib eingedrungen, er frisst sie innerlich auf. Wir müssen beten und Weihrauch entzünden.«
Wenn Cheftu da wäre, könnte er ihr ein echtes Medikament geben, dachte RaEm unwillkürlich. Merkwürdig, dass sie plötzlich an ihn denken musste. »Können wir ihr denn gar nichts geben? Ein Heilkraut? Medizin?«
»All, da es sich um Ukhedu handelt, ist es eine geistige Schlacht. Am besten informierst du Pharao, ewig möge er leben!, dass der Aton sich ihrer Nöte annehmen muss, da nur er mit dem Gott sprechen kann.«
RaEm hörte sehr wohl die Provokation in der Bemerkung des Alten. »Du bist entlassen«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Meritaton schrie erneut und packte RaEms Hand so fest, dass sie zusammenzuckte.
Wenig später kam Tiye hereingelaufen und legte die Hand auf Meritatons Stirn. »Das Kind wurde vergiftet«, verkündete sie.
RaEms Kopf fuhr hoch. »Was sagst du da, Mutter?«
»Vergiftet. Ihr Bauch ist prall, aber leer, ihre Haut ist heiß und trocken.« Sie wandte sich an Meritaton. »Kind, wo genau tut es weh?«
»In meinem . meinem Bauch«, hauchte Meritaton. »Sie haben mir ein Messer reingesteckt, damit ich glaube. Ich will zum Aton, ich will zu meinem Vater, ich will zu meiner Mutter.« Die Worte kamen abgehackt und drangen nur bruchstückweise in RaEms Geist vor. Vergiftet? Meritaton war vergiftet worden?
Echnatons Stimme dröhnte ihr in den Ohren: Mach meine Tochter glücklich.
»Sie muss sich übergeben.« RaEm stand unvermittelt auf. »Wer auch immer das getan hat, dessen Kopf wird meinen Türstock zieren! Sie darf nicht sterben.«
Tiye sah auf. »Sie spürt es bereits. Das Gift hat sein Werk verrichtet, wir können nur noch -«
»Nein!«, rief RaEm. »Sie wird nicht sterben! Sie darf nicht sterben! Hilf mir oder verschwinde!«
Tiye kniff die Augen zusammen. »Du liebst sie wirklich, nicht wahr, auf deine eigene, krankhafte Art?«
RaEm hielt inne, denn ihr ging auf, dass sie mit ihrem Verhalten die Mär nährte, Meritaton sei ihre geliebte Gemahlin. »Was glaubst du denn?«, fauchte sie. »Und jetzt hol mir etwas, womit ich sie zum Erbrechen bringen kann.«
»Es ist zu spät.«
RaEm trat an Meritatons Liege und zog das Mädchen seinem Gewimmer zum Trotz hoch. »Psst, Geliebte. Es wird dir kurz schlechter gehen, aber danach wirst du dich wieder ganz gesund fühlen. Vertrau mir.«
»Ach, Semenchkare ...« Sie seufzte und lehnte sich an RaEms mit Leinen verschnürte Brust.
RaEm rief ein paar Sklaven, die den Körper des Kindes stützten. Den Kopf des Mädchens in der Linken und ihren Mund aufhaltend, damit sie nicht gebissen wurde, steckte RaEm ihren Finger in Meritatons Hals und brachte sie zum Erbrechen.
Zuerst würgte Meritaton nur Magensäure hervor, doch dann kam das Essen, und zwar in Massen. RaEm war angewidert, aber erleichtert. Das Mädchen hatte sich nur den Magen verdorben? Was hatte sie geritten, so viel zu essen? Nachdem Me-ritatons Magen geleert war, reinigten die Sklaven die Liege und den Boden, und RaEm legte das Mädchen wieder hin. Sie war zwar geschwächt, doch ihr Körper schien sich abgekühlt zu haben.
»Was sollen wir mit, äh, dem hier machen, meine Majestät?«, fragte der Zeremonienmeister und deutete dabei auf die Schüsseln mit Meritatons Mageninhalt.
»Gebt es den Hunden. Und beobachtet, ob sie krank werden.«
Tiye trat neben RaEm. »Geh dich baden, meine Majestät«, meinte RaEms getäuschte Mutter. »Du sollst wissen, dass ich noch nie einen eindringlicheren Beweis für eheliche Liebe gesehen habe.«
Ihr brach die Stimme.
»Mein Mutterherz schwillt vor Stolz auf deine Tat.«
RaEm entfloh.
Cheftu blickte nach Backbord, über das wilde, weite Midian hinweg. Seit Tagen lagen sie nun schon im Hafen fest und schacherten mit den hiesigen Schafhirten und Händlern um den nötigen Proviant für
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