Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Hände, sondern unser Gehorsam ihm gegenüber.« Er atmete tief durch. »Darum müssen wir Shadays Worte in unseren Nefesh einschreiben, sie müssen in unser Blut übergehen.« Es herrschte gespannte Stille. »N’tan wird uns diese Worte lehren, wir werden sie uns mit jedem Atemzug einverleiben und sie nie vergessen!«
Wir klopften zustimmend, während der Tzadik nach vorne trat.
»Heute Nacht werden wir das erste Gebet lernen!«, rief N’tan. »Shaday ist der einzige Gott der Stämme!«
Der Mond stand hinter einer Wolke, was dafür sprach, dass der Gott der Stämme ihnen bald verzeihen würde, denn er würde Regen schicken. Regen. RaEm schauderte. Was für ein ekliges, unnatürliches Zeug. Das einzig Gute am Regen waren die Blitze - die waren wirklich aufregend. Sie und Hiram kletterten die bewaldete Flanke des Hügels hinauf, auf einen Abschnitt der Mauer zu, wo es keine Tore, sondern nur Wohnhäuser gab. Hiram trat an einen riesigen Baum und betastete die Borke.
Sie schwang nach außen auf! Ein Teil des Baumes war eine Tür! RaEm war sprachlos. »Wie?«, fragte sie verblüfft.
»Wir schlagen sie in Tsor, doch wir lassen die Wurzeln am Stamm. Dann können sie leicht verpflanzt werden, ohne dass dies hier auffällt«, sagte er, wobei er eine Holzplatte abnahm. »Dieses Exemplar ist schnell und grob gearbeitet. Meine anderen Arbeiten sind feiner, aber ...« Er zog die Schultern hoch.
RaEm blickte in das Loch hinab. Es war tiefschwarz, eng und stank nach Dung. Hiram kletterte rückwärts hinab, wobei sich seine langen Röcke zwischen den Beinen verfingen. Er hielt sich kurz am Rand fest, dann war er in der Dunkelheit verschwunden.
Sie hörte einen dumpfen Aufschlag und dann nichts mehr.
Das Innere des Baumes war kaum geräumiger als ihre Duschkabine im modernen Ägypten. »Kommst du?«, hörte sie ihn von unten. Sie zögerte. Konnte sie diesem Mann trauen? Er wartete ein paar Atemzüge lang. »Semenchkare, du erinnerst mich an einen Jüngling, der sich nicht entscheiden kann, ob er ein Weib beschlafen oder von einem Mann beschlafen werden möchte. Entscheide dich!«
Er sprach nicht laut, doch mit aller Deutlichkeit: Hör auf, Zeit zu verschwenden.
RaEm zwängte sich durch das Loch, fühlte aber nichts als Luft, bis Hiram sie mit unpersönlichem Griff an den Knöcheln packte. Er stellte ihre Füße auf seinen Schultern ab, und gleich darauf war sie unten. Sie krochen aus einer Kalksteinkammer in einen weiteren Tunnel. Es gab kein Licht, keine Lampen, keine Kerzen. Sie folgte allein dem Klang seiner Stimme.
Eine Zeit lang wanderten sie geduckt dahin, dann durchbrach er das Schweigen.
»Wir befinden uns unterhalb der Stadt.«
Fast schlagartig änderte sich die Umgebung. Sie ließen sich in einen Kalksteintunnel fallen, der so hoch war, dass sie aufrecht gehen konnten. Hiram förderte eine Öllampe zu Tage, dann gingen sie weiter.
»Wir befinden uns jetzt unter der Rehov Shiryon«, sagte er.
»Können sie dich hören?«, fragte sie.
»Sie sitzen alle mit ihrem Propheten zusammen«, meinte Hiram. »Auf diese Weise können wir nach Lust und Laune einmarschieren.«
Die Giborim beugten sich vor und hörten N’tan gespannt zu. Sie schienen wirklich etwas lernen zu wollen, auch wenn ich gesagt hätte, dass sie mich an Profi-Wrestler erinnerten, die sich für Stickerei interessierten. Vielleicht hatte ich sie falsch eingeschätzt?
»Unser Gott«, sagte N’tan, »ist ein eifernder Gott.«
Ich zog die Stirn in Falten.
Ich hatte gehört, er sei eifersüchtig . waren diese Worte austauschbar oder wie? Ich wollte mein fast nicht mehr existentes Lexikon durchforsten, bekam aber keine Antwort.
»Wieso können wir nicht anderen, geringeren Göttern dienen?«, fragte einer der Giborim.
N’tan zog die Schultern hoch und hob die Hände. »Warum sollten wir?«
Sie starrten ihn verständnislos an. Auch ich starrte ihn verständnislos an; es war eine so nahe liegende Frage, dennoch hatte ich sie nie gestellt. Cheftu kritzelte seine Worte nieder. Selbst er sah N’tan verdutzt an.
»Nehmen wir an, du bist haMelekh einer Stadt, ken?«, schlug der Tzadik vor.
»Ziqlag«, erwiderte der Soldat schlagfertig. »Ich regiere als haMelekh über Ziqlag.«
Dort hatte Dadua zuerst geherrscht. Alle lachten, als sich der Mann aufrichtete und sein Gewand zurechtzog, als wäre es Daduas blaue Robe. Dadua lächelte nur und sah ihm mit einem feurigen Glänzen in den Augen zu.
»Du willst Ziqlag vor den plündernden ...
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