Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
ergänzte Cheftu. Die Namen waren sich in ihrer Bedeutung so ähnlich, dass sich die Täuschung in Grenzen hielt.
Wenaton klatschte in die Hände, und Sklaven eilten herbei. »Du kannst dich in meiner Kajüte ausruhen, Herr Chavsha. Zum Essen werde ich dich wecken.«
Unter Deck gellte ein Schrei. Die Matrosen hielten kurz inne und arbeiteten dann noch emsiger weiter. Cheftu ließ sich in Wenatons Kajüte führen. Kaum hatte er die Tür geschlossen, da wurde sie erneut geöffnet, und RaEm trat ein. Hatte Wena-ton vergessen, dass sie nicht verheiratet waren? Schon wieder hatte Cheftu keine Gelegenheit, die Steine zu fragen, was er unternehmen sollte.
Ob sie in dieser Epoche auch funktionierten?
Würden sie ihm die gewünschten Antworten geben?
Aii, Chloe, Geliebte, wo bist du? Konnte er vielleicht in die Zukunft und in ihre Zeit reisen? Und lernen, ein Flugzeug zu fliegen? Fernsehen? Bei Meckdonnels essen? Jedes Bröckchen, das er über Chloes Welt erfahren hatte, nährte seinen Hunger nach ihr und gab der grässlichen Angst Aufschub, dass ihr letzter Abschied möglicherweise endgültig gewesen war.
Als Cheftu am nächsten Morgen aufwachte, blähten sich die Segel unter dem Wind, und die Matrosen schliefen, spielten Würfel oder erledigten die an Bord anfallenden Routinearbeiten. In der Zeltkajüte sah Cheftu Wenatons Schatten über einen Schreibtisch gebeugt.
War er dabei, die Papyrusdokumente vorzubereiten, die es ihnen erlauben würden, nilaufwärts bis nach Achetaton zu segeln? RaEm hatte sich bereits von ihrer Liege erhoben; er sah sie im Bug sitzen, wo der Wind durch ihr versengtes Haar wehte. Sie gab einen ausgesprochen gefälligen Anblick für die Matrosen ab.
Echnaton. Der Name sagte Cheftu nichts. Ob Wenaton wohl Pharao Hatschepsut kannte, die kluge Herrscherin, unter der Cheftu als Höfling gedient hatte? Oder hatte ihr Nachfolger Thutmosis sein Gelübde gehalten und sie aus allen Aufzeichnungen getilgt? Was war mit dem Allerprachtvollsten, ihrem Totentempel auf dem Westufer des Nils? Er war bis in Chloes Zeit erhalten geblieben; wurde er jetzt einfach ignoriert? Die Sonne ging auf, und Cheftus Gehirn arbeitete noch schneller. Man konnte den Eindruck bekommen, Pharao sei verrückt geworden. Lebte Chloe an seinem Hof?
»Träumst du schon wieder von deiner Geliebten?« RaEm hatte sich von hinten angeschlichen; offenbar war er immer noch erschöpft, sonst hätte er sie gehört.
Er überging ihre Frage. »Was tust du, wenn wir angekommen sind?« Ihm fiel auf, dass die Verletzungen, die ihr jetziger schwarzhaariger, kupferfarbener Leib bei dem Vulkanausbruch erlitten hatte, allmählich verheilten. Wenigstens war dem Gesicht, das sie jetzt trug, nichts passiert.
»Ein Pharao, der zurzeit keine Frau hat - da fragst du noch?«
RaEm lachte, und Cheftu fiel auf, dass die Matrosen zu ihr hersahen. Sie mochten für RaEm zu unbedeutend sein, um Notiz von ihnen zu nehmen, doch umgekehrt galt das keineswegs. Allerdings hatten die Peitschenhiebe, die RaEm ihrem Bootsmann verabreicht hatte, Angst und Respekt in ihre lüsternen Blicke treten lassen. Alle Augen lagen auf ihr, wenn sie über Deck wandelte, die Schultern dem winterlichen Wetter zum Trotz frech entblößt. In Ägypten waren ein solches Verhalten und eine derartige Aufmachung akzeptabel; doch leider stammten die Ruderer aus Tsor. In ihren Augen war RaEm leichter bekleidet als eine Hure. Cheftu hatte ihr einen Umhang vorgeschlagen, doch sie hatte ihn nur ausgelacht; sie sei viel zu dankbar, endlich die Fesseln von Levi’s und Dessous abstreifen zu können, hatte sie erwidert.
»Und was wirst du tun?«, fragte sie ihn. »Willst du als >Kö-niglicher Berater< arbeiten? Wann hast du die Sprache dieser Menschen gelernt? Wie kannst du all das so gefasst aufnehmen?« Sie sagte das fast spöttisch, doch Cheftu war auf der Hut. RaEm war über alle Maßen selbstverliebt; noch dazu war sie eitel. Doch er durfte nie vergessen, dass sie schlau war, gefährlich schlau sogar.
»Natürlich werde ich Pharao meine Dienste anbieten.«
Vielleicht konnte er in eine so hohe Position aufsteigen, dass er Chloe finden konnte? Oder dass sie ihn finden konnte? Was bedeutet hätte, dass sie ihr zwanzigstes Jahrhundert wieder verlassen hatte. War das möglich? Und hatte sie es getan?
Er musste so bald wie möglich die Steine befragen.
»Richtig, fast hätte ich es vergessen, du bist ja ein so edler Adliger, dass du es nicht ertragen kannst, deine Zeit mit anderen Menschen
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