Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Tränen. Dadua hob den Kopf und blickte in ihre erwartungsvollen Gesichter.
»Ich spreche von einem Ort, der noch nicht unser ist«, erklärte er. »Doch mein Nefish sagt mir, dass el haShaday an diesem Ort wohnen muss.«
Mein Lexikon hielt ein Kärtchen hoch: Nefish = Ka = Psyche = Seele.
»Dort«, verkündete er, »werde ich uns einen Palast erbauen und einen Palast für den Gott unserer Väter. Er soll nicht länger in einem Zelt wohnen wie ein Heidengott ohne festes Heim. Er wird eine Wohnung unter Seinem Volk haben.«
Sie schwiegen verblüfft.
»Ihr, meine dreißig Getreuen, meine Giborim, werdet an un-seren Grenzen wohnen. Du und du«, damit deutete er auf zwei junge Bärtige, »werdet im Süden leben und uns vor den Wegelagerern auf dem Negev beschützen. Du und du«, wandte er sich an zwei weitere, »werdet nach Norden gehen, zwischen die Stämme Zebuions und Ahsers, und uns gegen die Tsori, Tsidonni und Mitanni verteidigen.« Entsprechend teilte er auch den übrigen eine neue Heimat zu. Eine Heimat, die ihn nichts kosten und ihm dafür sichere Grenzen schaffen würde. Denn so würden die Männer nicht nur für ihren Herrn, sondern auch für ihr Heim und ihre Familie kämpfen.
Ich sah zu Cheftu. Er schaute mit großen Augen zu.
»Wir werden eine Flotte bauen«, fuhr Dadua fort. »Auf diese Weise wird sich unser Gebiet von der Wüste bis zu den Zedern erstrecken!«
Die Männer jubelten; es gefiel ihnen zu herrschen; sie liebten ihren siegreichen Gott. Dadua trug sein Lied noch mehrmals vor, bis wir alle einstimmten. Es war nicht gerade ein Trinklied, aber davon ließ sich niemand bremsen.
Inzwischen schenkte ich bereits meinen vierten Krug aus.
Dadua erzählte von einer Bibliothek, die er errichten wollte. Danach von einer Herberge für alle, die Shadays Wort studieren wollten, und von einem Stadtviertel, in dem ausländische Handwerker und Künstler ihre Fähigkeiten an die Hochländer weitergeben sollten. Und all das sollte auf einem Hügel errichtet werden.
Einem Hügel? Ich spürte stoppelige Gänsehautpickel unter meinem Kleid. Nicht auf jenem Hügel; deswegen war ich doch bestimmt nicht hier? Ich packte den Krug fester, um mein Zittern zu unterdrücken.
»Dieser Hügel liegt fast zum Greifen nahe«, sagte Dadua. »Doch ich biete euch, meinen besten, meinen heiligsten Brüdern, einen Wettkampf an. Wir, die wir gemeinsam als Gesetzlose in den Höhlen von Abdullum gelebt haben, werden auch
gemeinsam herrschen.«
Enthusiastischer Jubel übertönte seine Worte.
»Doch wer diese eine Tat begeht, dem will ich die größte Belohnung gewähren.«
»Du hast von Labayu gelernt, wie?«, kommentierte ein Gibor lachend.
Dadua lächelte. »Ken. Ich habe gelernt, dass ein Mann eine Menge auf sich nimmt, um mit einer Frau zu schlafen.«
Alle lachten. Cheftu flüsterte mir etwas ins Ohr und jagte mir damit einen Mordsschrecken ein, denn ich hatte nicht mitbekommen, dass er so nahe bei mir stand. »Laut der Heiligen Schrift hat David seinem König Saul die Vorhäute von zweihundert Pelesti überreicht, ehe er Sauls Tochter Mik’el zur Frau nehmen durfte.« Er küsste mich aufs Ohr und tauchte wieder in der Menge unter.
»Lo«, sagte Dadua. »Doch hier geht es nicht um eine Frau, die sich in den Kopf setzen kann, einem Mann selbst dieses Vergnügen zu verwehren, wenn es ihr beliebt«, meinte er viel sagend. Die Männer brüllten, während ich mich fragte, welche Frau ihn jemals abgewiesen hatte. Er sah phantastisch aus, er hatte Charisma ... verflixt, er beherrschte sogar ein Musikinstrument. Keine unter meinen Freundinnen hätte ihn abgewiesen. Ich blickte auf die Frau an seiner Seite, G’vret Aygay’el. Sie war seine zweite Frau, sie war ein Juwel, und sie sah selbst nach dieser Bemerkung mit absoluter Bewunderung zu ihm auf.
Dadua war noch nicht fertig. »Für diese Tat, falls er sie durch Shadays Willen überlebt, will ich ihn für alle Zeit zum Rosh Tsor haHagana machen.«
Das Lexikon in meinem Kopf schmiss nur so mit Bildern um sich. Ich sah eines von George Washington als General; dann Mac-Arthur bei seinem Satz: »Ich komme zurück«; und schließlich Colin Powell. Dadua hatte die Ausschreibung für das Amt des Oberkommandierenden eröffnet.
»Er muss mir Jebus geben.«
Unerbittlich und alles erstickend wie ein Bühnenvorhang senkte sich Schweigen herab. Dadua lächelte seine Krieger an. »Abdiheba, der König von Jebus, behauptet, nur die Blinden und Lahmen könnten seine Bergzitadelle
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