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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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waren, fühlte ich mich bedrückt, wenn sie sich freuten, nahm ich an ihrem Glück Anteil. Außen ihnen sah ich wenige Menschen. Wenn gelegentlich andere in die Kate kamen, hoben deren ungehobeltes Benehmen und plumper Gang für mich nur die überlegenen Eigenschaften meiner Freunde hervor. Der alte Mann, das konnte ich erkennen, bemühte sich oft genug, seine Kinder, wie ich ihn sie manchmal nennen hörte, aufzumuntern, ihre Schwermut abzuschütteln. Er sprach dann in heiterem Ton mit einem Ausdruck der Güte, der sogar in mir Freude weckte. Agathe hörte achtungsvoll zu, manchmal mit Augen voller Tränen, die sie unbemerkt fortzuwischen versuchte. Doch ich bemerkte meistens, daß ihre Miene und ihr Ton fröhlicher waren, nachdem sie die Ermahnungen ihres Vaters angehört hatte. Nicht so bei Felix. Er war stets der bedrückteste der Gruppe, und sogar für meine ungeübte Wahrnehmung schien er tiefer als seine Freunde gelitten zu haben. Doch wenn sein Antlitz trauriger war, so war seine Stimme frohgemuter als die seiner Schwester, besonders wenn er mit dem Alten sprach.
    Ich könnte zahllose an sich geringfügige Beispiele anführen, welche die Gemütsart dieser liebenswerten Häusler kennzeichneten. Inmitten von Armut und Not brachte Felix seiner Schwester freudig das erste weiße Blümchen, das aus dem schneebedeckten Boden lugte. Früh am Morgen, noch bevor sie aufgestanden war, fegte er den Schnee beiseite, der ihren Weg zum Kuhstall behinderte, zog Wasser aus dem Brunnen und holte Holz vom Schuppen, wo er zu seiner ständigen Überraschung den Vorrat von einer unsichtbaren Hand stets neu aufgefüllt fand. Am Tage arbeitete er wohl manchmal für einen Bauern in der Nähe, denn oft ging er fort und kehrte erst zum Abendessen heim, brachte aber kein Holz mit. Dann wieder arbeitete er im Garten. Da in der kalten Jahreszeit jedoch wenig zu tun war, las er dem Alten und Agathe vor.
    Dieses Vorlesen hatte mir anfangs außerordentliches Kopfzerbrechen gemacht, doch nach und nach bekam ich heraus, daß er beim Lesen viele der gleichen Laute hervorbrachte wie beim Sprechen. Deshalb reimte ich mir zusammen, daß er auf dem Papier Zeichen für die Sprache finde und auch verstehe, und ich wünschte glühend, sie auch zu begreifen. Aber wie war das möglich, wenn ich nicht einmal die Laute verstand, für die sie als Zeichen standen? In dieser Wissenschaft verbesserte ich mich zwar merklich, jedoch nicht genug, um einem Gespräch irgendwelcher Art zu folgen, auch wenn ich meine ganze Geisteskraft daransetzte. Denn ich sah leicht ein, so heftig ich darauf brannte, mich den Häuslern zu offenbaren, dürfte ich den Versuch erst machen, wenn ich ihre Sprache gemeistert hätte. Diese Fertigkeit würde mich möglicherweise in die Lage versetzen, zu erreichen, daß sie über die Unförmigkeit meiner Gestalt hinwegsahen. Denn auch mit dieser hatte mich der vor meinen Augen stets gegenwärtige Kontrast vertraut gemacht.
    Ich hatte die vollendete Erscheinung meiner Häusler bewundert – ihre Anmut, Schönheit und ihren feinen Teint: aber wie war ich entsetzt, als ich mich in einem klaren Teich selbst betrachtete! Zuerst schrak ich zurück, konnte nicht glauben, daß wirklich ich es war, dessen Bild der Spiegel zurückwarf. Und als ich ganz davon überzeugt war, daß ich in Wirklichkeit das Ungeheuer darstelle, das ich bin, erfüllte mich bitterste Verzweiflung und Demütigung. Ach! Ich kannte noch längst nicht alle unheilvollen Folgen dieser elenden Mißgestalt.
    Als die Sonne wärmer wurde und das Tageslicht länger währte, verschwand der Schnee, und ich erblickte die kahlen Bäume und die schwarze Erde. Von nun an bekam Felix mehr Arbeit, und die herzbetrübenden Anzeichen des ständig drohenden Hungers verschwanden. Ihre Nahrung war, wie ich später bemerkte, grob, aber gesund, und sie beschafften sie sich in ausreichender Menge. Verschiedene neue Pflanzen sproßten im Garten, die sie zubereiteten; und in dem Maße, wie die Jahreszeit voranrückte, mehrten sich diese Zeichen des Wohlergehens täglich.
    Jeden Tag um die Mittagszeit ging der Alte, auf seinen Sohn gestützt, spazieren, wenn es nicht regnete, wie man es nach meiner Beobachtung nannte, wenn der Himmel sein Wasser herabschüttete. Das war häufig der Fall. Aber ein frischer Wind trocknete die Erde rasch, und die Jahreszeit wurde noch viel schöner als vorher.
    In meinem Stall lebte ich gleichförmig dahin. Den Vormittag über sah ich dem Tun und Treiben der Häusler zu.

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