Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
bessere Ehefrau werde. Ich hoffe darauf, Anerkennung in Victors Augen zu sehen. Falls es mir mit der Zeit gelingt, ihm eine sehr gute Ehefrau zu werden, und falls er mich mit der Zeit ins Herz schließen sollte, werde ich ihn bitten, anderen der Neuen Rasse Hoffnung zu gestatten. Ich werde Victor bitten, meinen Leuten ein milderes Leben als das zu geben, das sie derzeit haben.«
Der Troll hörte auf zu schaukeln. »Bitte Victor so schnell um nichts.«
»Nein. Erst muss ich ihm eine bessere Ehefrau werden. Ich muss lernen, ihm vollendet zu dienen. Aber vielleicht könnte ich des Königs Ahasveros Königin Esther sein.«
»Denk daran«, sagte er, »Jocko ist unwissend. Ein unwissender Versager.«
»Das sind Gestalten in der Bibel, die ich nie gelesen habe. Esther war die Nichte und Adoptivtochter des Mardochai. Sie hat König Ahasveros, ihren Ehemann, dazu gebracht, ihr Volk, die Juden, vor der Auslöschung durch die Hände Hamans, eines Fürsten seines Reichs, zu bewahren.«
»Bitte Victor so schnell um nichts«, wiederholte der Troll. »Das ist Jockos Meinung. Das ist die Meinung, die Jocko mit Nachdruck vertritt.«
Vor ihrem geistigen Auge sah Erika Christine auf dem Boden des Eingangsbereichs der ehelichen Suite liegen, ihre beiden Herzen vierfach durchschossen.
»Das ist nicht das, wozu ich deine Meinung hören möchte«, sagte sie und stand auf. »Komm mit mir in die Bibliothek. Ich muss dir dort etwas Seltsames zeigen.«
Der Troll zögerte. »Ich, der bin, ist erst vor ein paar Tagen aus ihm gekommen, der war, aber ich, der Jocko ist, habe bereits genug Seltsames für den Rest meines Lebens gesehen.«
Sie hielt ihm eine Hand hin. »Du bist mein einziger Freund auf Erden. Ich habe sonst niemanden, an den ich mich wenden kann.«
Jocko sprang vom Fußboden auf und nahm eine Stellung auf den Fußspitzen ein, als wollte er eine Pirouette drehen, zögerte aber immer noch. »Jocko muss diskret sein. Jocko ist ein heimlicher Freund.«
»Victor ist aus dem Haus gegangen. Er ist auf dem Weg in die Hände der Barmherzigkeit . Die Hausangestellten sind am hinteren Ende des Anwesens, in ihrem Schlafsaal. Wir haben das Haus für uns allein.«
Nach einem Moment ließ er sich auf die Fußsohlen sinken und seine Hand in ihre gleiten. »Es wird ein sehr, sehr lustiger Hut werden, nicht wahr?«
»Sehr, sehr lustig«, versprach sie ihm.
»Mit kleinen Glöckchen dran?«
»Wenn ich einen lustigen Hut ohne Glöckchen finde, werde ich so viele Glöckchen annähen, wie du willst.«
43.
Vollkommene Stille hat sich auf das Gebäude herabgesenkt, ob in den Fluren, einem nach dem anderen, den Labors, einem nach dem anderen, den verschiedenen Räumen, auf den Treppen, in den Toiletten und in den Lagern.
Da sämtliche Fenster zugemauert sind, lässt das Gebäude keine Geräusche aus der Außenwelt ein.
Da und dort liegen Grüppchen von gehirnlosen Leichen herum. Sie sind alle AUSNAHMEN.
Keiner rührt sich, der gesehen werden kann.
Chamäleon folgt der verlockenden Fährte des ZIELOBJEKTS, bis diese Pheromone am Computerarbeitsplatz im Zentrallabor ein abruptes Ende finden und von der Person, die sie verströmt hat, keine Spur zu sehen ist.
Dunkle Erinnerungen an diesen riesigen Raum regen sich in Chamäleons Gedächtnis. Es scheint keine Erinnerungen zu haben, die weiter zurückgehen als diese.
Erinnerungen sind für Chamäleon nicht von Interesse. Es lebt für die Zukunft, für den aufreizenden Geruch der ZIELOBJEKTE, der es in Wut versetzt.
Rasende Gewalttätigkeit stimuliert das Lustzentrum in seinem Vorderhirn, wie intensiver Sex es stimulieren könnte, wenn Chamäleon zu sexuellen Aktivitäten fähig wäre. Gemetzel, und nichts anderes als Gemetzel, lösen seinen Orgasmus aus. Chamäleon träumt vom Krieg, denn für Chamäleon ist der Krieg fortwährende Ekstase.
Plötzlich erscheinen auf dem Computer auf dem Schreibtisch und auf einem überdimensionalen Monitor mit einer Diagonalen von hundertfünfzig Zoll, der in eine Wand eingelassen ist, Bilder.
Die Bildschirme zeigen eine breite Prachtstraße, Zehntausende von Leuten, die alle identisch gekleidet sind, sich zu einer exakten Aufstellung formiert haben und zu lauter Musik im Gleichschritt marschieren.
In jeder fünften Reihe der steifbeinig Marschierenden trägt jede Person eine Fahne. Die Fahne ist rot mit einem weißen Kreis. In dem Kreis ist das Gesicht eines Mannes.
Das Gesicht ist Chamäleon vertraut. Es hat diesen Mann vor langer Zeit gesehen, hat ihn
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