Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
vier Schüsse auf ihre beiden Herzen abgegeben. Und ihr zweimal gegen den Kopf getreten, nachdem sie tot war.
Statt die Leiche für die geplante Abholung einzuwickeln und schleunigst das Blut aufzuwischen, wie es ihr aufgetragen worden war, versetzte Erika sich selbst damit in Erstaunen, dass sie in die Unterkunft des Trolls im Nordflügel zurückkehrte. Sie klopfte leise an und sagte sotto voce: » Ich bin es, Erika «, denn sie wollte das kleine Kerlchen nicht stören, falls es gerade in einer Ecke saß, an seinen Zehen lutschte und seine Gedanken zu dem roten Ort abschweifen ließ, um sich auszuruhen.
Mit einer Diskretion, die sich an ihrer messen konnte, sagte er gerade so laut » Herein «, dass sie es mit dem Ohr an der Tür hören konnte.
Sie fand ihn im Wohnzimmer, wo er vor dem kalten Kamin auf dem Fußboden saß, als wärmten ihn die Flammen.
Sie setzte sich neben ihn und sagte: »Hast du die Schüsse gehört?«
»Nein. Jocko hat nichts gehört.«
»Ich dachte, du müsstest sie gehört haben und würdest dich vielleicht fürchten.«
»Nein. Und Jocko hat auch nicht mit Äpfeln jongliert. Nicht Jocko. Nicht hier in seinen Zimmern.«
»Äpfel? Ich habe dir keine Äpfel gebracht.«
»Du bist sehr gut zu Jocko.«
»Hättest du gern Äpfel?«
»Drei Orangen wären noch besser.«
»Ich werde dir nachher ein paar Orangen bringen. Gibt es sonst noch etwas, was du möchtest?«
Obwohl das missglückte Gesicht des Trolls viele Ausdrücke hervorzubringen verstand, die bei einem ganzen Rudel angreifender Wölfe zum Herzstillstand hätte führen können, fand Erika ihn goldig, wenn auch nicht die meiste Zeit, aber zumindest gelegentlich goldig, in Momenten wie diesem.
Irgendwie brachten es seine für sich genommen furchterregenden Gesichtszüge fertig, sich zu einem ganz reizenden sehnsuchtsvollen Ausdruck zu verbinden. Seine enormen gelben Augen funkelten vor Freude, als er überlegte, was er sich außer den Orangen wünschen könnte.
Er sagte: »Oh, da gibt es etwas, etwas ganz Besonderes, was ich gern hätte, aber das ist zu viel verlangt. Jocko hat es nicht verdient.«
»Wenn ich es dir besorgen kann, bekommst du es«, sagte sie. »Was ist es denn Besonderes?«
»Nein, nein. Jocko hat es verdient, dass seine Nasenlöcher bis zu seinen Augenbrauen hochgezogen werden. Jocko hat es verdient, sich fest ins Gesicht zu schlagen, auf seine eigenen Füße zu spucken, seinen Kopf in eine Toilettenschüssel zu stecken und zu spülen und immer wieder zu spülen, sich einen zehn Pfund schweren Vorschlaghammer an die Zunge zu binden und den Hammer über ein Brückengeländer zu werfen, das ist es, was Jocko verdient hat.«
»Unsinn«, sagte Erika. »Du hast sonderbare Vorstellungen, kleiner Freund. Du hast eine solche Behandlung ebenso wenig verdient, wie dir Seife schmecken würde.«
»Bei Seife weiß ich jetzt, woran ich bin«, beteuerte er ihr.
»Gut. Und ich werde dir auch noch Selbstwertgefühl beibringen. «
»Was ist Selbstwertgefühl?«
»Sich selbst zu mögen. Ich werde dir beibringen, dich selbst zu mögen.«
»Jocko duldet Jocko. Jocko mag Jocko nicht.«
»Das ist sehr traurig.«
»Jocko traut Jocko nicht.«
»Weshalb solltest du dir selbst nicht trauen?«
Während er über ihre Frage nachdachte, gab der Troll mit den Hautlappen seines Mundes schmatzende Geräusche von sich und sagte dann: »Nehmen wir mal an, Jocko wollte ein Messer.«
»Wozu?«
»Nehmen wir mal an … um sich die Zehennägel zu schneiden.«
»Ich kann dir eine Nagelschere bringen.«
»Machen wir erst mal mit den Annahmen weiter. Nehmen wir einfach mal an, Jocko wollte ein Messer, um sich die Zehennägel zu schneiden, und nehmen wir mal an, es sei wirklich dringend gewesen. Siehst du, die Zehennägel … sie mussten sofort geschnitten werden, auf der Stelle , denn sonst wäre jede Hoffnung verloren gewesen. Also nehmen wir mal an, Jocko sei losgeeilt, irgendwohin, in eine Küche zum Beispiel, um das Messer zu holen. Was dann passiert, ist das, was immer passiert. Nehmen wir mal an, Jocko kommt in die Küche und sieht ein paar … Bananen, ja, genau das sieht er, eine Platte voller Bananen. Kannst du Jocko noch folgen?«
»Ja, das kann ich«, sagte sie.
Es war nicht immer einfach, dem zu folgen, was er sagte, und manchmal ergab es überhaupt keinen Sinn, aber Erika merkte deutlich, dass es um etwas ging, was Jocko sehr wichtig war. Sie wollte ihn verstehen. Sie wollte für ihn da sein, für ihren heimlichen
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