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Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)

Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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einen kompakten Erdwall, der gerade breit genug für ein geländegängiges Fahrzeug war. Sowohl zu seiner Rechten als auch zu seiner Linken erstreckten sich weit unterhalb dieses erhöhten Pfades riesige Teiche aus Abfällen, aus denen unebenmäßige Erhebungen herausragten, die man später einebnen und glätten würde, bevor sie mit zweieinhalb Metern Erde zugedeckt und mit Abzugsrohren für das Methangas versehen wurden.
    Der Gestank war abstoßend, aber in den vergangenen zweihundert Jahren war Deucalion Schlimmerem begegnet. In seinen beiden ersten Jahrzehnten, nachdem er Victor vermeintlich tot in der Arktis zurückgelassen hatte, hatte Deucalion häufig der Drang gepackt, gewalttätig zu werden, und er hatte gegen die Ungerechtigkeit gewütet, zusammengeflickt
und belebt worden zu sein – von einem narzisstischen Möchtegerngott, der seinen Geschöpfen weder einen Sinn im Leben noch Frieden geben konnte noch die geringste Hoffnung auf Geselligkeit und Zugehörigkeit. In den Stunden seiner größten Qualen und des ärgsten Selbstmitleids hatte sich Deucalion auf Friedhöfen herumgetrieben und war in Grüfte aus Granit und in Mausoleen eingedrungen, wo er Särge aufgerissen und sich gezwungen hatte, die verwesenden Leichen zu betrachten und laut zu sich selbst zu sagen: »Hier siehst du, was du bist, nichts weiter als totes Fleisch – totes Fleisch und Knochen und innere Organe von Brandstiftern, von Mördern, totes Fleisch, dem künstliches Leben verliehen wurde –, tot und lebendig, einer anderen Welt nicht würdig und in dieser hier eine Abscheulichkeit.« Als er an den offenen Särgen gestanden hatte, hatte er einen solchen Gestank kennengelernt, dass im Vergleich dazu die Mülldeponie in Louisiana so lieblich wie ein Rosengarten roch.
    Bei diesen Friedhofsbesuchen, während er blicklose Kadaver anstarrte, deren leere Augenhöhlen zurückstarrten, hatte er sich danach verzehrt zu sterben. Er hatte es zwar versucht, aber er war nicht in der Lage, sich einem gut abgezogenen Rasiermesser oder einer Henkerschlinge, die er geknüpft hatte, auszuliefern. Daher hatte er sich in jenen langen Nächten, in denen er Umgang mit den Toten pflegte, dazu zu überreden versucht, die Notwendigkeit der Selbstzerstörung bereitwillig anzunehmen.
    Die Selbstmordsperre war ihm nicht von Victor mitgegeben worden.
    In seinem anfänglichen Streben nach Göttlichkeit war dieser pompöse Widerling nicht fähig gewesen, sein erstes Geschöpf so gekonnt zu programmieren wie jene, die er sich derzeit ausdachte. Victor hatte eine Vorrichtung in Deucalions Schädel eingebaut, die eine Gesichtshälfte des Riesen
zerstörte, als er versuchte, die Hand gegen seinen Schöpfer zu erheben. Aber in jenen Tagen war Victor nicht fähig gewesen, Selbstmord zu verbieten.
    Nach Jahren, die ebenso sehr durch einen enttäuschten Todeswunsch wie durch Wut gekennzeichnet waren, war Deucalion zu einer demütigenden Erkenntnis gelangt. Das Gebot, das ihn so wirksam davon abhielt, Hand an sich zu legen, entstammte einem mächtigeren und unendlich viel mysteriöseren Quell als Victor. Ihm war die Selbsttötung versagt, weil er eine Bestimmung im Leben hatte – selbst wenn er zu jenem Zeitpunkt nicht erkennen konnte, worin diese Bestimmung bestehen könnte –, einen Auftrag von größter Bedeutung, der ausgeführt werden musste, bevor ihm endgültiger Frieden gewährt werden würde.
    Zweihundert Jahre hatten ihn endlich nach Louisiana geführt, zu dieser übelriechenden Mülldeponie, die Abfallgrube und Friedhof zugleich war. Der drohende Sturm würde nicht nur Donner, Blitze, Wind und Regen mit sich bringen; es würde auch ein Sturm der Gerechtigkeit, des Gerichts, der Hinrichtung und der Verdammnis hereinbrechen.
    Zu seiner Linken, weit draußen in der Westgrube, flackerten Flammen. Ein Dutzend kleiner Feuer bewegte sich hintereinander her, als seien es Fackeln, die von einer Prozession getragen wurden.

42.
    Erika stand eine Minute lang da, über Christines Leiche gebeugt, und versuchte zu verstehen, warum Victor sie erschossen hatte.
    Christine schien zwar zu der Überzeugung gelangt zu sein, sie sei jemand anders als sie selbst, doch sie war nicht bedrohlich gewesen. Ganz im Gegenteil: Sie war verwirrt und beunruhigt gewesen und hatte trotz ihrer Behauptung, sie wirke zwar so, sei aber kein »zerbrechliches Dingelchen«, den Eindruck eines schüchternen, unsicheren Mädchens gemacht, das noch nicht zur Frau herangereift war.
    Und doch hatte Victor

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